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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Videokassette und stellte das Foto sorgfältig zurück auf seinen Platz. »Meine älteste Enkelin lebt auch in New York. Sie ist schon achtzehn. Die kleine Emily. Hat ein Stipendium an einer Elite-Universität. Im Big Apple, wie man so schön sagt. Frage mich, woher dieser Name kommt.«
    Rachel hatte dafür nur ein mattes Lächeln und begleitete ihn zur Tür. »Habe nicht die geringste Ahnung, Rodney. Nicht die geringste.«

21
    17. April 1984
    Am Morgen des letzten Tages in ihrem Leben saß Janie Crowley neben Connor Whitby im Bus. Sie fühlte sich seltsamerweise atemlos, und sie versuchte, runterzukommen, ruhiger zu werden. Sie atmete langsam durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Es schien nicht zu helfen.
    Beruhige dich! , ermahnte sie sich.
    »Ich habe dir etwas zu sagen«, sagte sie.
    Er schwieg. Er spricht nie viel, dachte Janie im Stillen. Sie beobachtete ihn, wie er seine Hände betrachtete, die auf seinen Oberschenkeln ruhten. Er hatte große Hände, wie sie schaudernd bemerkte. Angst? Vorahnung? Oder beides? Ihre Finger waren eiskalt. Sie waren immer kalt. Sie schob sie unter ihren Pulli, um sie zu wärmen.
    »Ich habe eine Entscheidung getroffen«, erklärte sie.
    Er drehte plötzlich den Kopf und sah sie an. Der Bus schlingerte, als er um eine Ecke bog, und ihre Körper rutschten dichter zusammen, sodass ihre Augen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.
    Sie atmete so schnell, dass sie sich ernsthaft fragte, ob irgendetwas mit ihr nicht stimmte.
    »Raus damit!«, sagte er.

22
    Mittwoch
    Halb sieben Uhr morgens. Der Wecker riss Cecilia grausam und schonungslos aus dem Schlaf. Sie lag John-Paul zugewandt auf der Seite, und sie schlugen beide gleichzeitig die Augen auf. Sie lagen so dicht nebeneinander, dass ihre Nasen sich beinahe berührten.
    Cecilia betrachtete die feine Zeichnung der roten Äderchen im Weiß seiner blauen Augen, die Poren auf seiner Nase, die grauen Bartstoppeln auf seinem stark ausgeprägten, festen Kinn, das ihn so aufrichtig wirken ließ.
    Wer war dieser Mann?
    In der Nacht zuvor, als sie schließlich wieder im Bett gewesen waren, hatten sie Seite an Seite dagelegen und durch das Dunkel an die Decke gestarrt, während John-Paul ununterbrochen geredet hatte. Cecilia musste nicht nachbohren, brauchte keine einzige Frage zu stellen. Er wollte reden, wollte ihr alles erzählen. Seine Stimme klang leise und inbrünstig. Je mehr er redete, desto heiserer wurde er. Es war wie ein Albtraum, in der Dunkelheit zu liegen und seinem kratzigen Flüstern zu lauschen, immer weiter und immer weiter. Cecilia musste sich ein paar Mal auf die Lippen beißen, um nicht laut zu schreien: Hör auf! Sei still! Sei endlich still!
    Er war in Janie Crowley verliebt gewesen. Wahnsinnig verliebt. Besessen. So wie man als Teenager eben verliebt ist. Er hatte sie bei McDonalds in Hornsby kennengelernt, als sie beide einen Bewerbungsbogen für einen Nebenjob ausfüllten. Doch für keinen wurde etwas daraus. Janie jobbte später in einer Reinigung, und John-Paul in einer Milchbar. Aber sie hatten ein superintensives Gespräch über Gott weiß was, und Janie gab ihm ihre Telefonnummer, und tags darauf rief er sie an.
    Er dachte, sie sei seine Freundin. Er dachte, er würde sein erstes Mal mit ihr haben. Aber das alles müsste total heimlich ablaufen, weil Janies Vater einer von diesen stockkatholischen Vätern war, der einen Freund niemals dulden würde, bevor seine Tochter nicht achtzehn war. Und das machte es umso reizvoller. Als wären sie auf geheimer Mission. Und sie hatten ihre Geheimzeichen. So etwa hatten sie ausgemacht, dass er auflegen würde, wenn er bei ihr zu Hause anrief und ihre Mutter oder ihr Vater abnahm. Und auch Händchenhalten in der Öffentlichkeit war tabu. Keiner ihrer Freunde wusste, dass sie zusammen waren. Janie bestand darauf. Einmal waren sie im Kino, wo sie im Dunkeln Händchen hielten. Einmal küssten sie sich im Zug, in einem leeren Waggon. Und in der Rotunde im Wattle Valley Park saßen sie beisammen, pafften Zigaretten und sprachen davon, vor dem Studium zusammen nach Europa zu gehen. Mehr war da nicht. Außer dass John-Paul Tag und Nacht an sie dachte. Er schrieb ihr Gedichte, die er ihr nie gab, weil es ihm viel zu peinlich war.
    Mir hat er nie Gedichte geschrieben, dachte Cecilia nebenbei.
    An jenem Abend hatte Janie ihn gefragt, ob sie sich im Wattle Valley Park treffen wollten, wie so viele Male zuvor. Der Park war meist menschenleer, und so konnten

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