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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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geschlafen, als Rachel ihn angerufen hatte. Zuerst hatte sich seine Frau gemeldet, und Rachel hatte mit angehört, wie sie versuchte, ihn zu wecken. »Rodney. Rodney . Für dich!« Als er endlich am Apparat war, klang seine Stimme tief und verschlafen. »Ich komme, Mrs. Crowley«, sagte er schließlich, als er wusste, um was es ging. Und kurz bevor er auflegte, hörte Rachel seine Frau noch fragen: »Wohin, Rodney? Wohin , musst du? Kann das nicht warten bis morgen früh?«
    Mrs. Bellach klang wie eine echte Meckerliese.
    Gewiss, es hätte warten können bis morgen früh, überlegte Rachel jetzt, da sie sah, wie Rodney gegen seine Müdigkeit ankämpfte und sich mit den Fingerknöcheln die glasigen Augen rieb. Zumindest wäre er dann wacher gewesen. Er sah überhaupt nicht gut aus. Er hatte vor Kurzem die Diagnose »Diabetes Typ zwei« erhalten und seine Ernährung radikal umgestellt. Das hatte er ihr erzählt, als sie sich setzten, um das Video anzuschauen. »Kein Zucker mehr«, sagte er trübsinnig. »Keine Eiscreme mehr zum Nachtisch.«
    »Mrs. Crowley«, erklärte er schließlich. »Ich kann wirklich verstehen, warum Sie denken, dass dies ein Beweis dafür sein kann, dass Connor Whitby ein Motiv gehabt haben könnte, doch wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen, dann glaube ich nicht, dass es ausreicht, die Kollegen davon zu überzeugen, sich den Fall noch einmal vorzunehmen.«
    »Er war verliebt in sie!«, beharrte Rachel. »Er war verliebt in sie, und sie hat ihn zurückgewiesen.«
    »Ihre Tochter war ein sehr hübsches Mädchen!«, räumte Rodney Bellach ein. »Wahrscheinlich waren viele Jungs in sie verliebt.«
    Rachel war völlig fassungslos. Wieso hatte sie nie bemerkt, wie dumm Rodney war? Wie schwer von Begriff? Hatte der Diabetes seinen IQ aufgeweicht? Hatte der Verzicht auf Eiscreme sein Hirn schrumpfen lassen?
    »Aber Connor war nicht irgendein Junge. Er war der Letzte, der sie sah, bevor sie starb«, sagte Rachel langsam und bedächtig, damit Rodney Bellach auch ja jedes ihrer Worte verstand.
    »Er hatte ein Alibi.«
    »Ja, seine Mutter war sein Alibi! Sie hat gelogen, ist doch offensichtlich.«
    »Und der Freund seiner Mutter hat es bekräftigt«, erinnerte Rodney sie. Aber – und das ist weitaus wichtiger – es gab einen Nachbarn, der Connor gesehen hat, als er um fünf Uhr abends den Müll rausbrachte. Und der Nachbar ist ein sehr verlässlicher Zeuge. Rechtsanwalt und Vater von drei Kindern. Ich erinnere mich an jedes einzelne Detail im Fall Ihrer Tochter, Mrs. Crowley. Und ich kann Ihnen versichern, wenn es irgendeine heiße Spur gegeben hätte …«
    Rachel fiel ihm ins Wort. »Seine Augen lügen! Das haben Sie selbst gesagt. Und Sie hatten recht! Sie hatten ja so recht!«
    »Aber das hier beweist nicht mehr, als dass die beiden eine kleine Kabbelei hatten.«
    »Eine kleine Kabbelei?«, rief Rachel. »Sehen Sie sich doch das Gesicht des Jungen an! Er hat sie getötet! Ich weiß es. Ich weiß es tief in meinem Herzen, in meinem …« Sie wollte ›Körper‹ sagen, bremste sich aber noch gerade rechtzeitig, denn sie wollte nicht klingen wie eine Verrückte. Doch es war wahr. Ihr Körper sagte ihr, dass Connor Whitby der Täter war. Der Gedanke brannte förmlich in ihr, sie war wie im Fieber. Sogar ihre Fingerspitzen fühlten sich heiß an.
    »Wissen Sie was, ich sehe mal, was ich tun kann, Mrs. Crowley«, erwiderte Rodney. »Aber ich verspreche Ihnen nicht, dass irgendetwas dabei herauskommt. Nur so viel, dass das Video in die richtigen Hände gelangt.«
    »Danke. Mehr kann ich nicht verlangen.« Das war gelogen. Natürlich könnte sie mehr verlangen. Sie wollte sofort einen Streifenwagen, der mit heulender Sirene ausrückte, direkt zu Connor Whitbys Haus. Sie wollte Connor in Handschellen sehen, dem ein kräftiger, ernster Polizeibeamter bei der Festnahme seine Rechte verlas. Oh, und sie wollte auf gar keinen Fall, dass dieser Beamte zimperlich mit ihm war, ihm womöglich eine schützende Hand auf den Kopf legte, damit er sich nicht stieß, wenn er ihn auf den Rücksitz des Streifenwagens verfrachtete. Sie wollte, dass Connor sich so richtig den Schädel schlug, bis nur noch eine blutige Matsche übrig war.
    »Wie geht es Ihrem kleinen Enkel? Wird langsam groß, was?« Rodney hob ein gerahmtes Foto von Jacob vom Kaminsims, während Rachel die Videokassette aus dem Rekorder nahm.
    »Er geht nach New York.« Sie reichte ihm die Kassette.
    »Ach, wirklich?« Rodney nahm die

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