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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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im Büro gesessen hatte. »Danke nochmals für die Mitfahrgelegenheit nach Hause gestern Abend«, sagte sie zu Cecilia. Sie nickte Tess lächelnd zu. »Ich war gestern Abend auf einer Tupper-Party und habe ein bisschen zu viel getrunken. Deshalb bin ich heute auch zu Fuß unterwegs.« Sie zeigte auf ihre Sportschuhe. »Peinlich, nicht wahr?«
    Betretenes Schweigen. Tess hatte automatisch angenommen, dass Cecilia darauf etwas sagen würde, doch sie schien von irgendetwas in der Ferne abgelenkt zu sein und war seltsam still, unheimlich fast.
    »Klingt, als hätten Sie einen fröhlichen Abend gehabt«, bemerkte Tess schließlich. Ihre Stimme klang etwas zu laut, etwas zu herzlich. Wieso konnte sie nicht einfach ganz normal reden?
    »Ja, den hatte ich in der Tat.« Mit einem leichten Stirnrunzeln sah Rachel zu Cecilia, die noch immer kein Wort gesagt hatte, und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf Tess. »Hat Liam sein Klassenzimmer gleich gefunden?«
    »Trudy Applebee hat ihn unter ihre Fittiche genommen«, antwortete Tess.
    »Das ist gut«, erwiderte Rachel. »Da fühlt er sich wohl. Trudy kümmert sich immer ganz besonders um die Kinder, die neu an der Schule sind. Ich muss langsam los. Und raus aus diesen lächerlichen Quadratlatschen. Tschüss, meine Mädchen.«
    »Einen schönen …« Cecilias Stimme klang heiser, und sie räusperte sich. »Einen wunderschönen Tag, Rachel.«
    »Euch auch.«
    Rachel ging in Richtung Schulgebäude davon.
    »Gut«, meinte Tess.
    »Oje.« Cecilia drückte die Fingerspitzen an den Mund. »Ich glaube, ich muss los …« Sie blickte unruhig umher, als suchte sie etwas. »Mist!«
    Und plötzlich ging sie in die Hocke, krümmte sich im Rinnstein zusammen und musste sich mächtig übergeben.
    Oh Gott, dachte Tess, während die schrecklichen Würgelaute gar kein Ende mehr nehmen wollten. Sie wollte nicht sehen, wie Cecilia Fitzpatrick sich im Rinnstein übergab. Hatte sie einen Kater von letzter Nacht? Oder eine Lebensmittelvergiftung? Sollte sie sich neben sie hocken und ihr die Haare aus dem Gesicht halten, wie man das nach zu vielen Tequilas auf der Toilette einer Bar unter Freundinnen so machen würde? Oder sollte sie ihr sanft im Kreis über den Rücken reiben, als hätte sie Liam vor sich? Sollte sie wenigstens ein paar beruhigende, mitfühlende Laute von sich geben, um zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich sorgte? Anstatt nur verlegen rumzustehen und wegzuschauen? Aber sie kannte die Frau doch kaum.
    Als sie mit Liam schwanger gewesen war, hatte Tess mit chronischer Morgenübelkeit zu kämpfen gehabt. Ständig hatte sie sich an irgendwelchen öffentlichen Orten übergeben müssen. Damals wollte sie nichts als in Ruhe gelassen werden. Ob sie sich einfach davonstehlen sollte? Aber konnte sie die arme Frau in diesem Zustand allein lassen? Wohl kaum. Sie sah sich verzweifelt um, ob nicht noch eine andere Schul-Mum in der Nähe war, am besten eine von der zupackenden Sorte, eine, die prompt wüsste, was zu tun war. Cecilia war bestimmt mit Dutzenden von Müttern befreundet, doch die Straße war wie leer gefegt.
    Dann kam ihr eine glorreiche Idee: Taschentücher. Die Vorstellung, Cecilia etwas anbieten zu können, das praktisch und passend zugleich war, stimmte sie lachhafterweise fast ein wenig froh. Sie kramte in ihrer Handtasche und fand ein kleines, ungeöffnetes Päckchen Taschentücher und eine Flasche Wasser.
    »Wie eine echte Pfadfinderin«, hatte Will am Anfang ihrer Beziehung zu ihr gesagt, als sie einmal nach einem gemeinsamen Kinobesuch eine Taschenlampe hervorgekramt hatte, nachdem ihm in der stockdunklen Straße die Autoschlüssel aus der Hand gefallen waren. »Sollten wir irgendwann einmal auf einer einsamen Insel stranden, können wir, Tess’ Handtasche sei Dank, locker überleben«, hatte Felicity gemeint. Denn natürlich war Felicity an jenem Abend mit von der Partie gewesen, wie ihr jetzt einfiel. Wann war ihre Cousine je einmal nicht dabei gewesen?
    »Du meine Güte«, ächzte Cecilia. Sie richtete sich auf, sank auf die Bordsteinkante und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Wie peinlich!«
    »Hier«, sagte Tess und reichte ihr die Taschentücher. »Alles in Ordnung? Hast du vielleicht etwas Falsches … gegessen?« Cecilias Hände zitterten fürchterlich, wie Tess bemerkte, und ihr Gesicht war kreidebleich.
    »Ich weiß nicht.« Cecilia schnäuzte sich und sah hinauf zu Tess. Der sichelförmige Adergang unter ihrem rechten tränenden Auge

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