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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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zeichnete sich leicht violett ab, und auf den Augenlidern waren winzige Mascara-Flecken. Sie sah elend aus. »Es tut mir ehrlich leid. Aber du kannst ruhig gehen. Du hast bestimmt tausend Dinge zu erledigen.«
    »Nein, ehrlich gesagt, habe ich nichts zu erledigen«, meinte Tess. »Nicht das geringste bisschen.« Sie schraubte die Wasserflasche auf. »Möchtest du einen Schluck Wasser?«
    »Danke.« Cecilia trank, schickte sich an aufzustehen und taumelte. Tess bekam sie gerade noch am Arm zu fassen.
    »Entschuldige, entschuldige vielmals!« Cecilia schluchzte fast.
    »Ist schon gut.« Tess stützte sie. »Alles in Ordnung. Ich denke, ich sollte dich nach Hause fahren.«
    »Oh, nein, nein. Ist süß von dir, aber ich fahre schon selbst.«
    »Nein, das lässt du schön bleiben«, widersprach Tess. »Ich fahre dich. Du kannst dich ins Bett legen, und danach bringe ich deiner Tochter die Turnschuhe in die Schule.«
    »Oh, ich kann nicht glauben, dass ich Pollys verdammte Turnschuhe schon wieder vergessen habe«, murmelte Cecilia. Sie schien über sich selbst erschrocken zu sein, als hätte sie Polly einer Lebensgefahr ausgesetzt.
    »Komm!«, sagte Tess. Sie nahm Cecilia die Autoschlüssel aus der zittrigen Hand, zielte damit auf das Tupperware-Auto und drückte auf die Fernbedienung, um es zu öffnen. Sie fühlte sich plötzlich ungemein fähig und nützlich.
    »Danke.«
    Tess half Cecilia, die sich schwer auf ihren Arm stützte, auf den Beifahrersitz.
    »Überhaupt kein Problem«, sagte Tess forsch und nüchtern, wie es sonst gar nicht ihrer Art entsprach, schlug die Tür zu und ging zur Fahrerseite herum.
    Wie nett und beflissen von dir! Sie hörte Felicity reden. Als Nächstes trittst du noch dem freiwilligen Sozialdienst bei .
    Du kannst mich mal, Felicity! , dachte Tess und drehte forsch und energisch den Zündschlüssel.

24
    Was war denn heute Morgen mit Cecilia los? Die ist doch sonst nicht so, sinnierte Rachel auf ihrem Weg ins Schulgebäude vor sich hin. In ihren flachen Tretern fühlte sie sich reichlich unwohl, wo sie doch sonst in normalen Absatzschuhen daherkam. Sie spürte Schweiß unter den Achseln und am Haaransatz, aber zu Fuß zur Arbeit zu kommen, anstatt zu fahren, hatte ihr eigentlich sehr gutgetan. Bevor sie am Morgen aus dem Haus gegangen war, hatte sie kurz überlegt, ein Taxi zu rufen, da sie sich nach der letzten Nacht ziemlich erschöpft fühlte. Nachdem Rodney Bellach sich verabschiedet hatte, war sie noch stundenlang wach gewesen und hatte in Gedanken noch etliche Male das Video von Janie und Connor abgespielt. Und mit jedem Mal, da sie Connors Gesicht vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte, war es ihr böswilliger vorgekommen. Rodney war nur vorsichtig, wollte nicht vorschnell Hoffnungen in ihr wecken. Er war inzwischen alt und ein wenig weicher geworden. Doch würde erst einmal ein scharfer und kluger, junger Polizeibeamter das Video zu sehen bekommen, dann würde er die Zusammenhänge sogleich erkennen und entschlossen handeln.
    Wie würde sie reagieren, wenn Connor Whitby ihr heute in der Schule über den Weg lief? Ihn konfrontieren? Ihn direkt darauf ansprechen? Ihn beschuldigen? Der Gedanke machte sie schwindelig. Ihre Gefühle wuchsen wie gewaltige Berge in die Höhe: Trauer, Zorn, Hass.
    Rachel schnaufte tief durch. Nein. Nein, sie würde ihn nicht konfrontieren. Sie wollte, dass alles seinen ordnungsgemäßen Gang ging, und sie wollte Connor Whitby auf gar keinen Fall vorwarnen, was die neue Beweislage anging, oder etwas sagen, was sie womöglich den Schuldspruch kosten könnte. Man stelle sich nur vor, er käme aufgrund der Aktenlage davon, nur weil sie ihren Mund nicht hatte halten können! Sie spürte ein unvermutetes Gefühl von … nun ja, vielleicht nicht gerade Freude, aber doch vielleicht Hoffnung? Oder Genugtuung? Ja, es war Genugtuung, weil sie etwas für Janie tat. Genau. Es war so lange her, dass sie überhaupt irgendetwas für ihre Tochter hatte tun können: wie etwa in kalten Nächten in ihr Zimmer zu gehen und eine zusätzliche Decke über ihre schmalen Schultern zu legen, damit sie nicht fror, oder ihr eines ihrer geliebten Käse-Essiggurken-Sandwiches zuzubereiten (mit dick Butter – Rachel hatte immer versucht, sie heimlich zu mästen), oder ihre feine Kleidung auf der Hand zu waschen oder ihr einfach so zehn Dollar zuzustecken. Seit Jahren trug sie sich mit dem Wunsch, mal wieder irgendetwas für Janie tun zu dürfen, immer noch ihre Mutter sein zu dürfen,

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