Die Wahrheit stirbt zuletzt
sind mit schweren Eisenbeschlägen versehen, an denen Vorhängeschlösser baumeln, die offensichtlich mit einer Zange geöffnet worden sind. Auf dem Deckel ist der Aufdruck »Banco de España« zu lesen, und ein undeutliches Siegel ist auch zu erkennen.
Joes Augen leuchten, als er die Vorhängeschlösser abreißt und den Deckel der ersten Kiste öffnet.
Die Goldmünzen funkeln und glänzen verführerisch im Schein der Lampen. Joe legt seine Hände darauf und versenkt sie vorsichtig in dem Schatz. Die Münzen klingeln leise, sie haben einen warmen, reichen Klang. »Fuck«, sagt Joe Mercer und lässt die Finger liebkosend durch die dicken Geldstücke gleiten. Es muss sich um die Kiste mit den zweiundfünfzig Kilogramm portugiesische Goldmünzen handeln, die irgendein spanischer Kapitän vor Hunderten von Jahren für das Königshaus erbeutet hat.
Irribarne und Francisco beobachten Joe. Spiegeln ihre Augen die Enttäuschung darüber wider, sich unter Wert verkauft zu haben? Magnus kann es nicht sagen.
Joe öffnet den Deckel der zweiten Kiste. Darin befinden sich ebenfalls Münzen aus Gold, aber auch einige aus Silber. Wieder liebkost Joe sie, als handele es sich um die zarte Haut einer Frau, die seine Finger behutsam streicheln, während er sie mit einem Blick voll Lust und Begierde ansieht.
Magnus betrachtet die Gold- und Silbermünzen mit gemischten Gefühlen. Er fühlt sich zerrissen zwischen dem beinahe erotischen Verlangen, den Schatz zu besitzen, und einer merkwürdigen Vorahnung, das Ganze könnte böse enden.
Magnus lehnt es entschieden ab, sein Leben von bürgerlicher Moral bestimmen zu lassen. Er ist nicht auf die Welt gekommen, um der Hüter seines Bruders zu sein, sondern um ein reiches und aufregendes Leben zu führen. Ich bin ich, und nur ich entscheide darüber, was ich erreichen will und wie ich es erreiche, hat er oft gedacht. Aber in diesen alten römischen Ruinen, beim Anblick des größten Goldschatzes, den er je gesehen hat, überkommen ihn merkwürdige Zweifel. Ist es recht und billig, dass er und Joe das Vermögen der kämpfenden spanischen Nation stehlen, auch wenn es sich dabei nur um einen Bruchteil dessen handelt?
»Ich denke, du willst mit solch altem Zeug nichts zu tun haben, Joe«, sagt er und erkennt seine eigene Stimme nicht wieder. Sie klingt heiser und flüsternd, und sie zittert wie die eines alten Mannes.
»Fuck you, Mann. Du musst es einfach mal anfassen. Hast du so etwas schon mal gesehen?« fragt Joe, und seine tiefe Stimme klingt mindestens eine Tonlage höher als sonst.
Magnus’ Zweifel verschwinden, sobald seine Hände zunächst über die portugiesischen Goldmünzen und dann über die Münzen aus Silber und Gold gleiten. Obwohl es in dem alten römischen Bauwerk unter der Erde kühl ist, fühlen sich die Geldstücke warm an. Als manifestiere sich ihr Wert als eine Hitze, die sich von den Nervenenden seiner Fingerspitzen durch seinen Arm bis hinauf in das Zentrum seines Bewusstseins fortpflanzt, wo die Gier zu Hause ist. Und diese Kraft ist so stark, dass sich alle Gewissensbisse in das Rattenloch in der Wand zu verkriechen scheinen.
»Fuck. Das ist wirklich überwältigend«, sagt Magnus und beugt sich weit über die Kisten, als wolle er den Duft des Goldes in sich aufsaugen. Deshalb bemerkt er auch nicht, dass Joe Mercer einen Schritt zur Seite gemacht und mit der rechten Hand unter seine helle Lederjacke gegriffen hat. Völlig unerwartet heult es in seinen Ohren, als Joe einen Schuss abfeuert. In dem geschlossenen Raum dröhnt der Schuss gewaltig, und der Korditgestank breitet sich sofort aus und brennt in den Augen.
Magnus dreht sich um und sieht Francisco mit einem verblüfften Gesichtsausdruck in sich zusammensinken. Er hat ein kleines Loch mitten auf der Stirn und ein größeres im Nacken, wo das 9-mm-Projektil das zertrümmerte Gehirn wieder verlassen hat. Joe macht eine rasche Drehbewegung mit der Pistole. Er hält sie geübt und sicher mit beiden Händen fest. Es geht jetzt alles Schlag auf Schlag, aber Magnus erlebt es wie in Zeitlupe.
Joe schießt zwei Mal. Das eine Projektil trifft Irribarne in den Hals und durchschlägt die Hauptschlagader, sodass das rote Blut in hohem Bogen in den Raum spritzt. Das nächste Projektil trifft ihn ins linke Auge, und er bricht auf dem staubigen Steinfußboden zusammen. Auch diesmal hallen die Schüsse sehr laut wider, und es dröhnt in Magnus’ Ohren. Der Pulverdampf brennt in Hals und Augen. Joe atmet heftig, aber seine
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