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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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aber ich habe mit so vielen Soldaten gesprochen, dass ich weiß, dass jeder von ihnen letztlich für den Kameraden kämpft, der neben ihm im Schützengraben liegt. In der Hitze des Gefechts kämpfst du für deinen Kameraden, nicht für die Sache. Kannst du nicht wenigstens versuchen, deinen Bruder ein wenig zu verstehen?«
    »Ich versuche es, aber es hat mich trotzdem verletzt. «
    Sie legt ihre Hand auf seine: »Ich sage doch gar nicht, dass es leicht ist, aber du darfst dich von deiner Enttäuschung nicht auffressen lassen. Ihr werdet euch bestimmt wieder versöhnen. Warte nur ab.«
    »Wenn er überlebt.«
    »Das gilt für uns alle, Magnus«, sagt sie und wird auf einmal ernst, aber sie will diese Stimmung offensichtlich gleich wieder vertreiben, indem sie ein Lächeln hervorzwingt und mit aufgesetzter Fröhlichkeit sagt: »Weißt du was? Heute Abend findet im großen Saal des Rathauses gegenüber vom Hotel ein Offiziersball statt. Oder eine Art Weihnachtsball, auch wenn Weihnachten hier offiziell abgeschafft wurde. Könntest du dir vorstellen, eine junge Dame zu diesem Ball zu begleiten?«
    »Du bist gerade erst angekommen und weißt schon über diese Dinge Bescheid? Wie kann das sein?«
    »So etwas weiß ich einfach. Ich bin eben eine Frau. Und Journalistin, nicht wahr? Außerdem könnte es ja Männer geben, die mich darauf hingewiesen haben, dass heute Abend zum Tanz aufgespielt wird. Die mir, gleich als ich angekommen bin, Einladungen geschickt haben. Wäre das vielleicht denkbar, Magnus?«
    »Kennst du die Geschichte von dem schönen, großen Schiff namens Titanic? Das, das angeblich nicht sinken konnte. Das Orchester soll die ganze Zeit gespielt haben, während das Schiff gesunken ist. Wollen wir den Untergang der Republik feiern, indem wir die Nacht durchtanzen?«
    »Hör auf, so ein verfluchter Pessimist zu sein. Das steht dir nicht, Kamerad. Jetzt habe ich schon diverse freundliche Angebote bekommen und bin auch noch so dumm, einen so langweiligen Mistkerl wie dich einzuladen. Bitte entschuldige meine Aufdringlichkeit. Ich kann mir gern einen anderen Kavalier suchen.«
    »Du bist ja in Höchstform, Irina«, sagt er und fängt an zu lachen.
    »Vielleicht freue ich mich einfach, dich zu sehen. Also, was sagst du? Wirst du mich heute Abend zum Galaball begleiten?«
    »Mit dem allergrößten Vergnügen, Señorita.« Er nimmtihre Hand und gibt ihr einen Handkuss, was sie zum Lächeln bringt.
    »Hast du noch etwas bessere Sachen dabei als die, die du anhast? Es ist, wie gesagt, ein Galaabend.«
    »Ich dachte, Krawatten und feine bürgerliche Kleidung seien verboten.«
    »Nicht bei einer Galaveranstaltung, soweit ich weiß. Wir sind ja keine Anarchisten. Es wird auch ein Minister aus Barcelona zusammen mit einigen Generälen teilnehmen. Also, hast du etwas Anständiges zum Anziehen dabei?«
    »Das bekomme ich schon hin, aber hast du tatsächlich ein Kleid dabei? Ein revolutionäres Stalinpüppchen wie du?«
    »Wart’s ab, Kamerad. Ich war in Valencia, also lass dich überraschen. Wir treffen uns hier um zwanzig Uhr«, sagt sie und küsst ihn schnell auf den Mund, bevor sie leichten Schrittes weggeht.
    Stumm betrachtet er ihre wiegenden Hüften und ihren knackigen Hintern in der engen Hose.
    »Ein außergewöhnlich schöner Anblick, Caballero«, sagt der alte Barkeeper.
    »Si, Señor. Sehr schön.«
    »Lässt einen an andere Zeiten denken.«
    »Si, Señor. Wie wahr, aber diese Welt wird nie mehr zurückkehren. Wie wäre es mit einem weiteren Bier?«
    »Warum nicht?«
    »Eben, Señor. Warum nicht.«

22
    S ie sind in der Lobby verabredet, wo Magnus bereits auf sie wartet, und als sie die Treppe herunterkommt, ist er überwältigt. Sie ist sich der Wirkung, die ihr Auftritt hat, durchaus bewusst. Nicht nur Magnus, auch die anderen Männer in der prächtigen Lobby des Hotels starren Irina an, als sie in ihren hochhackigen Schuhen langsam und elegant die breite Treppe mit dem rot gemusterten, vom Krieg zerschlissenen Läufer herunterschreitet.
    Da sich gerade so viele vornehme Leute in der Stadt und im Hotel befinden, hat es für alle warmes Wasser gegeben. Die Generäle und der Minister konnten natürlich nicht ungewaschen zum Ball gehen oder in kaltem Wasser baden, daher hatte man keine Mühen gescheut und genügend Kohlen für die große Heizanlage des Hotels besorgt, sodass das warme Wasser gratis und in ausreichenden Mengen floss. Der Geruch von Krieg und Verfall ist auf wundersame Weise durch den Duft von

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