Die Wahrheit stirbt zuletzt
Seife, schwerem spanischen Rasierwasser und teuren Parfums ersetzt worden.
Magnus lag lange in der Badewanne, duschte anschließend auch noch und rasierte sich gründlich. Das Zimmermädchen mit dem biblischen Namen Maria Immaculada hatte seinen italienischen Anzug und sein einziges weißes Hemd sorgfältig gereinigt und gebügelt und seine Schuhe geputzt. Sie wurde rot vor Dankbarkeit, als er sie auf die Wange küsste und ihr ein ordentliches Bündel abgewertete Pesetas zusteckte.
Mit seiner rotblauen Krawatte und dem passenden Einstecktuch nickte er sich schließlich zufrieden in dem großenSpiegel in der Tür des Kleiderschranks zu und fühlte sich für einen Moment nach New York zurückversetzt, bevor er in die Lobby hinunterging, um auf sein Date zu warten.
Irina lächelt ihn an, und ihm wird ganz heiß. Sie trägt ein rotes, eng anliegendes Kleid, das unmittelbar über ihren zarten Brüsten abschließt. Es ist an der Seite geschlitzt, damit sie ausreichend Bewegungsfreiheit hat und ein schlanker, glatter Seidenstrumpfschenkel hervorblitzen kann. Die feinen Seidenstrümpfe verschwinden in einem Paar spitzer Schuhe. Um den Hals trägt sie eine dünne Silberkette mit einem kleinen Anker. Auf ihrem Kopf sitzt ein raffinierter kleiner Hut, wie sie in Manhattan der letzte Schrei waren, erinnert Magnus sich. Sie geht nicht die Treppe hinunter. Sie schwebt, als würde sie von den bewundernden Blicken der Männer und den missgünstigen der Frauen getragen.
Als sie zu ihm herüberschwebt und ihm gestattet, sie auf beide Wangen zu küssen, ist er unglaublich stolz und versucht gar nicht erst, es zu verbergen. Sie hat nur wenig Make-up aufgelegt. Schwarzer Lidstrich, ein wenig Rouge auf den Wangen und ein Rot auf den Lippen, das ihren makellosen hellen Teint unterstreicht. Sie duftet exotisch und verführerisch. »Ich bin überwältigt«, sagt er.
»Vielen Dank, Caballero. Es hat auch ein wenig gedauert.«
Er lacht: »Gibt eine Frau so etwas zu?«
»Es kann schon sein, dass ich heute Abend wie eine feine Dame aussehe, aber ich bin immer noch Irina aus dem Arbeiter- und Bauernstaat, und ich freue mich schon darauf, wieder in meine Hose zu schlüpfen. Aber wenn gefeiert wird, dann richtig. Würde der Herr mich jetzt bitte geleiten?«
»Mit Vergnügen, Señorita. Es ist mir eine große Ehre.«
Sie spazieren gemeinsam mit den anderen Hotelgästenzu dem vornehmen, offiziell aussehenden Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza. Ein Heer von Bediensteten steht mit Regenschirmen vor der Hoteltür bereit, aber es hat schon wieder aufgehört zu regnen. Die Frauen frieren, aber sie tun es mit Anstand. Magnus sieht, dass es die schwarz gekleideten Sturmtruppen der Guardia Asaltos sind, die das Hotel bewachen. Sie halten eine Gruppe Schaulustiger auf Abstand. Die Blitzlichter der Fotografen leuchten auf. Das laute Plop-Plop der explodierenden runden Blitzlichter tönt wie Gewehrschüsse durch das klare Nachtdunkel.
Magnus denkt, dass auch dies Teil der Propaganda sein wird. Es sind vielleicht nicht gerade Bilder von der klassenlosen Gesellschaft, aber es sind Bilder von einer Gesellschaft, für die der Krieg so erfolgreich verläuft, dass sie sogar noch Zeit und Muße hat zu feiern. Ihm ist aufgefallen, dass die Regierung sich in letzter Zeit bemüht, einen verbalen Abstand zu allem Revolutionären und Kommunistischen aufzubauen, um die Westmächte für sich einzunehmen. Auf einmal schleichen sich bürgerliche Tugenden in die Propaganda der Zeitungen. Krawatten und andere Formalitäten kehren ebenso wieder zurück wie die Rangabzeichen der Offiziere, und das selbst bei den Internationalen Brigaden und den Milizen. Es ist eine seltsame Gemengelage. Die Kommunisten bauen ihre Macht aus und versuchen, die Republik nach ihren Vorstellungen zu disziplinieren, und gleichzeitig werden die Ordnung und die Gewohnheiten der früheren Gesellschaft wieder eingeführt. Die bürgerlichen Kommunisten können die Ausschweifungen und Unvorhersehbarkeiten der Anarchie nicht gebrauchen. Es ist ein Krieg an vielen Fronten, den er hier miterlebt.
Ein Offizier, der eine dicke Zigarre raucht und eine große, korpulente Frau in einem voluminösen Seidenkleid am Arm führt, schaut zum Himmel hinauf, an dem jetztdie Sterne funkeln. Magnus kann ihn deutlich über die anderen plappernden Stimmen hinweg verstehen: »Du nennst das ein herrliches Wetter, mein Engel. Ich dagegen bevorzuge den guten kastilischen Regen. Der Himmel hat aufgeklart.
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