Die Wahrheit stirbt zuletzt
klein wenig zurück, aber erst, als er den gesamten Bierschaum entfernt hat. Er leckt seinen Finger ab und blickt ihr dabei in die Augen. »Das freut mich«, sagt er, und seine Stimme klingt heiser und unnatürlich.
Sie wendet den Blick ganz von ihm ab und sagt: »Aber jetzt komme ich gerade aus Teruel. Ich war mit Ilja zusammen dort. Es ist so teuflisch kalt in Teruel, dass ich mich wie zu Hause in Russland gefühlt habe. Es hat wie verrückt geschneit. Wir wären beinahe nicht wieder weggekommen. Aber ist es nicht großartig, wie gut es dort läuft?«
»Läuft es denn gut? Ich dachte, die Offensive wäre zum Stillstand gekommen.«
Am 15. Dezember hatten die Truppen der Republik mit dem Sturm auf die Provinzhauptstadt Teruel begonnen, die Francos Nationalisten gleich zu Beginn des Krieges eingenommen hatten. Er hatte die triumphierenden Artikel über die Offensive mit einer gehörigen Portion Skepsis gelesen, und ihm war aufgefallen, dass in den Frontberichten der republikanischen Presse in den letzten Tagen keine Beschreibungen von erobertem Territorium mehr zu lesen gewesen waren.
»Das liegt nur am Wetter. Seit Moskau habe ich nicht mehr solche Schneemassen gesehen. Die Republik hat innerhalb eines Tages einen Ring um Teruel gebildet, Magnus. Wir sind bis San Blas vorgedrungen. Ich bin mir sicher, wenn der Schneesturm vorüber ist, durchbrechen wir die Front der Faschisten und reißen sie endgültig auseinander. Es ist gleichzeitig auch ein fantastischer Propagandasieg,begreifst du das nicht? Bis das Wetter richtig schlecht wurde, haben sie sich fantastische Luftduelle geliefert. Die neuen Piloten, die in meiner Heimat ausgebildet wurden, sind fantastisch. Die deutschen Faschisten und die italienischen Piloten haben keine Chance gegen sie. Wir haben mehrere von ihren Savoia-Marchettis abgeschossen. Das sind ihre Bombenflugzeuge …«
»Ich weiß, was das für Flugzeuge sind, Irina.« Er kann ein Lachen nicht unterdrücken.
»Worüber lachst du? Es ist doch fantastisch, dass sich das Blatt endlich wendet. Dass die Republik sich jetzt in der Offensive befindet.«
»Ich lache, weil ich mich freue, dich zu sehen. A sight for sore eyes, das sagte ich doch bereits. Deine Stimme klingt wie Musik in meinen Ohren.«
»Jetzt ist es aber genug, Magnus. Sind alle Dänen so verrückte Romantiker?«, sagt sie, aber er sieht, dass sie sich ebenfalls freut.
Er zündet ihr eine Zigarette an und lässt sie erzählen. Ihm fällt auf, wie vernarrt sie in das Wort »fabuloso« ist. Sie sollte es lieber mit Bezug auf sich selbst verwenden. Denn er findet, dass sie genau das ist: fabulosa. Einfach fantastisch mit ihren lebhaften, sprechenden Händen und dem eifrigen, hübschen Gesicht mit der kleinen Nase und den kleinen Ohren und dem lockigen, kurz geschnittenen Haar, das wie ein Kranz um ihren Kopf wogt, und schließlich mit diesem Mund, den zu küssen und zu liebkosen er sich so sehr wünscht. Das Blut pulsiert in seinem Körper, und er weiß, dass sie es ebenfalls spürt, denn sie wird plötzlich ganz still.
»Hör auf, mich so anzusehen«, sagt sie dann leise. »Das macht mich ganz befangen. Und was sollen die Leute von uns denken. Erzähl mir lieber, was du gemacht hast, Magnus. Entschuldige, wenn ich das sage, aber du siehst ein bisschen müde und mitgenommen aus.«
Ohne Umschweife erzählt er ihr von seinem Tag mit Mads in Madrigueras und empfindet große Erleichterung dabei, ihr die Wahrheit zu sagen, auch wenn er selbst über seine Offenheit staunt. Er ist klug genug, Cartagena nicht zu erwähnen, aber er berichtet ihr von Mads und seiner Spezialeinheit. Er gibt ihr gegenüber zu, dass er das Gefühl hat, Mads im Stich gelassen zu haben, aber auch, dass die Art, wie sein kleiner Bruder sich von ihm verabschiedet hat, ihn verletzt hat.
Irina sieht ihn an und hört zu, ohne ihn zu unterbrechen, während sie ihr Bier in kleinen Schlucken trinkt. Ihre hellen Augen strahlen Wärme und Mitgefühl aus, und wieder hat er große Lust, ihren weichen Mund zu küssen, traut sich aber nicht. Stattdessen redet er weiter wie ein Schuljunge, der seiner Mutter sein Herz ausschüttet.
»Pobrecito. Armer kleiner Magnus«, sagt sie. »Ich kann deinen Schmerz verstehen, aber deinen Bruder verstehe ich auch. Er liebt dich, aber dieser Schwede ist sein Kriegskamerad und damit sein Schutzschild gegen die Welt. Wir reden zwar die ganze Zeit von unserem gerechten Krieg und davon, dass wir für die Freiheit und den Sozialismus kämpfen,
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