Die Wahrheit stirbt zuletzt
folgenden entsetzlichen Tagen in meinem leeren Inneren wider. Tot. Dein Kamerad ist tot. Lass uns gehen.
Das hier ist nicht meine Geschichte, daher ist ihr nicht mehr viel hinzuzufügen.
Wir flohen hinaus in den allgemeinen Tumult, dann auf die Straßen von Teruel und in die Keller hinein. Die Stadt war umringt und belagert, aber die Faschisten gaben nicht auf. Wir versteckten uns, und es gab Menschen, die uns halfen, weil das Schicksal sie in die Stadt verschlagen hatte, obwohl ihr Herz für die Republik schlug. Es gab nichts zu essen, und es waren die kältesten Tage seit Menschengedenken. Mir froren zwei Zehen ab.
Vier Tage lang tobte ein Schneesturm, der dafür sorgte, dass zwei Armeen stecken blieben. In Teruel kämpften sich die Faschisten wie die Berserker Haus für Haus vorwärts,bis ihre Essens- und Munitionsvorräte aufgebraucht waren. Am 29. Dezember ließ der Schneesturm nach, und nach heftigem Artilleriebeschuss und Flugzeugbombardierungen ging Franco zur Gegenoffensive über. In Teruels kalten Kellern wussten wir nichts davon, aber wir hörten den Schlachtlärm, während wir versuchten, uns mit Rattenfleisch am Leben zu halten. In der ganzen Stadt waren keine Katze und kein Hund mehr aufzutreiben. Erst am 8. Januar 1938 ergaben sich die letzten Nationalisten, und der Kommandant und der Bischof der Stadt wurden gefangen genommen. Sie hätten sie erschießen sollen, warfen sie aber stattdessen ins Gefängnis.
Wie blinde Ratten tauchten wir Überlebenden aus den Ruinen auf. Ich hatte mich mit Ruhr infiziert. Dennoch wollte ich ins Kloster zurück. Es war wie die gesamte Stadt nur noch ein in Grund und Boden gebombter Ruinenhaufen. Ich stützte mich auf den spanischen Kameraden, den ich in einem Keller kennengelernt hatte. Wir hatten einander in den langen, schrecklichen Tagen während der Belagerung beigestanden und geholfen, bis dann endlich die Befreiung kam. Er hieß Manuel und war Maurer von Beruf. Das ist alles, was ich über ihn weiß. Ich habe ihn nie wiedergesehen und weiß auch nichts über sein weiteres Schicksal.
Vor der Klosterruine sagte ich in meinem schlechten Spanisch: »Mi hermano está muerto.«
Ich wiederholte den Satz noch einige Male. Mein Bruder ist tot. Als spräche ich ein Gebet, obwohl ich nie an Gott geglaubt habe. Es tat einfach nur gut, es zu sagen.
Ich habe Mads nie wieder gesehen. Ich weiß nicht, was sie mit seiner Leiche gemacht haben. Vermutlich ist sie in einem der vielen spanischen Massengräber gelandet, oder er wurde unter den Ruinen begraben.
Ich wurde in einem überfüllten Krankentransport in ein Lazarett in Tarragona gebracht und von dort aus nachSchweden zurückgeschickt, als ich so weit wiederhergestellt war, dass ich mithilfe von Krücken umherhumpeln konnte. Meine körperlichen Verletzungen sind gut verheilt, die seelischen habe ich in meinem Inneren abgekapselt.
Ich lag auf meinem Krankenlager in Tarragona, als sich der Anfang vom Ende der Republik abzuzeichnen begann. Es wurde ein langer und blutiger Rückzug aus Aragonien und Teruel, der damit endete, dass Francos Nationalisten das Mittelmeer erreichten und die Nation in zwei Teile spalteten. Denn die Offensive, die Mads das Leben kostete und meines rettete, war die letzte Erfolgsgeschichte der Republik, und sie war von kurzer Dauer.
Im November 1938 wurden die Internationalen Brigaden aufgelöst und nach einer Abschiedsparade in Barcelona nach Hause geschickt.
Ich habe die Parade in einem kurzen schwarzweißen Filmausschnitt in der Wochenschau zu Hause in Kiruna im Kino gesehen. Ich war dankbar für die Dunkelheit im Kinosaal, denn so sahen die anderen Zuschauer und meine Verlobte nicht, wie ein großer Minenarbeiter, der seine frühere körperliche Stärke beinahe zurückgewonnen hatte, lautlos über die ungerechte Sinnlosigkeit des Lebens weinte.
3. Teil
Russland, Winter und Frühjahr 1938
Die Geschichte kennt kein Schwanken und keine Rücksichten. Sie fließt, schwer und unbeirrbar, auf ihr Ziel zu. An jeder Krümmung lagert sie Schutt und Schlamm und die Leichen der Ertrunkenen ab.
Arthur Koestler: Sonnenfinsternis
26
M agnus Meyer liegt in dem rumpelnden russischen Expresszug wach, der auf seiner langen Reise von Berlin nach Moskau durch die Nacht schaukelt. Er hört Svend Poulsens Schnarchen, das die Geräusche des Zuges übertönt. In dem bleichen Licht ihres Zweierabteils sieht er dessen Armstummel auf der Bettdecke liegen. Nachdem sie die Grenze ohne Probleme überquert
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