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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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achtgeben. Innerlich ist ihm warm – die Wärme entsteht durch seine Vorfreude, allerdings gepaart mit Angst und Unsicherheit, die er beim Gedanken an die Begegnung mit Irina empfindet.
    Bevor er das Hotel verlassen hat, hat er seinen Revolver sorgfältig zusammengesetzt und geladen. Er spürt ihn in seiner Jackentasche, und das gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit.
    Er geht zügig.
    Schwarze Autos fahren über den Platz, und die kleinen Schneeflocken tanzen im Licht der gelben Scheinwerfer. Die Kremlgebäude sind beleuchtet. In der Ferne kann er den Spasski-Turm erkennen, um dessen roten Stern die größeren Schneeflocken wie ein Schwarm Fliegen herumschwirren. Der Alexandergarten liegt dunkel und leer da.
    Hier gibt es keine Geschäfte, und als er in die kleinen Gassen schaut, die zum alten Arbat-Viertel führen, das Keenan ihm gezeigt hat, sind dort an diesem kalten Abend nur wenige Menschen unterwegs. Oder ist Moskau zu einer Stadt geworden, in der sich nach Anbruch der Dunkelheit niemand mehr auf die Straße wagt? Wo nur noch die schwarzen Krähen unterwegs sind, um nächtliche Beute zu machen, damit die sorgsam ausgearbeiteten Fünfjahrespläne zur Beseitigung von Volksfeinden auch eingehalten werden?
    Der Arbat ist ein Gewirr von kleinen Straßen und Gassen mit alten Holzhäusern, deren Fassade zum Teil mit einer dünnen Schicht Putz versehen worden ist. Früher wohnten hier Kaufleute, angesehene Künstler und Adlige in großen Wohnungen, die nach der Revolution jedoch in viele kleine Unterkünfte aufgeteilt wurden, deren Bewohner sich die Küche und das Bad teilen müssen. Wie hatte Keenan sie doch gleich genannt? Kommunalka? Gemeinschaftswohnungen. Auf diese Weise sollte Platz geschaffen werden für die Millionen von Bauern, die in die Städte strömten. Es sind Zwangsgemeinschaften, aber Keenan hatte auch gesagt, dass es sich dabei um ein sehr russisches Phänomen handle und dass es bereits hervorragende literarische Darstellungen des dramatischen Lebens gebe, das einander fremde Menschen in diesen beengten Verhältnissen führten.
    »Was würden wir Menschen tun, wenn wir die Literatur nicht hätten, um uns zu bereichern und zu trösten?Hier wohnen noch immer begabte Dichter und Maler, die ihr Leben trotz Stalin und seiner gehorsamen Männer zu genießen verstehen. Die Lebensfreude mitten in der Tragödie macht mir die Russen sympathisch. Trotz allem«, hatte er gesagt und Magnus eine seiner kubanischen Zigarren angeboten.
    Der Duft des edlen Tabaks hatte sich mit den strengen Gerüchen von Kohl, Speck, Koks und Ofenrauch vermischt, die ihnen aus den Häusern entgegenwehten. Allerdings wurden die intensiven Gerüche häufig vom Gestank der vielen Plumpsklos überlagert, die wie kleine Wachhäuschen im platt getretenen Schnee der engen Hinterhöfe standen. Sie hatten Radios spielen und Menschen sich streiten hören, und die Klänge eines Akkordeons waren aus einem Dachfenster zu ihnen gedrungen.
    Keenan hatte Magnus nur angelächelt und mit einer große Geste angedeutet, dass das Moskauer Leben in seiner Vielfalt gar nicht so leicht zu erfassen sei.
    Magnus denkt über Russland nach. Eine unglaubliche Stille liegt über dieser gefrorenen Stadtlandschaft, deren Boden leicht bebt, wenn einer der neuen Metrozüge dicht unter der Oberfläche entlangfährt. Normalerweise werden die Metrotunnel tief in die Erde gegraben, damit sie auch als Luftschutzräume genutzt werden können, wenn der Krieg kommt, mit dem hier alle rechnen, weil ihre junge Revolution so viele Feinde hat. Was tut er bloß in dieser ungastlichen, abweisenden und furchteinflößenden Stadt? Er will von hier weg. Die Sehnsucht und das Verlangen nach Irina sind der einzige Grund, weshalb er noch nicht zu den Behörden gegangen ist und sich seinen Ausreisestempel besorgt hat.
    Er geht um den Kreml herum auf die Brücke, bleibt einen Moment stehen und sieht zu dem großen Haus am anderen Ufer des Flusses hinüber. Ihm fällt auf, dass das Haus auf beiden Seiten von Eis umgeben ist. Wie eingroßes dunkles Frachtschiff auf einem erstarrten Meer. In zahlreichen Fenstern brennt Licht, aber ebenso viele sind dunkel und abweisend. Aus einer roten Fabrik, die neben dem gewaltigen grauen Koloss liegt, in dem Irina hinter einem der vielen Fenster auf ihn wartet, strömt der süßliche Geruch von Schokolade.
    Er tastet nach seinem Revolver, geht weiter über die Brücke und von dort zum Eingang des Gebäudes. Auf der linken Seite liegt ein Geschäft, dessen

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