Die Wahrheit stirbt zuletzt
dass es sein unverhofftes und überwältigendes Verliebtsein in sie ist, das er mit dem schleppenden, erotischen Rhythmus des Tangos zum Ausdruck bringen will.
Als er fertig ist, klatschen Joe und Irina begeistert, und sie legt für einen Augenblick ihre Hand auf sein Knie. Der Flachmann macht wieder die Runde, bevor sie sich in ihren Sitzen zurücklehnen und einander zufrieden anschauen. Sie sind jung und lebendig, und trotz der Gräuel um sie herum empfinden sie das Dasein als ein märchenhaftes Abenteuer.
Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, halten sie irgendwo am Rande der flachen Landschaft der Mancha ihre Siesta und teilen ihr Essen mit Juan Montero, der nicht viel sagt, aber höflich dankend eine Scheibe Brot, ein Stück Wurst und ein Eckchen Käse entgegennimmt und etwas beiseitetritt. Er isst schnell, als ob er lange nichts zu essen bekommen habe, legt sich dann unter einen Olivenbaum und zieht sich den Hut ins Gesicht.
Mercer hat ein scharfes Taschenmesser hervorgeholt, mit dem er das Brot zerschneiden will, aber Irina nimmtihm das Messer ab und durchstößt damit die harte Kruste. Sie träufelt langsam etwas Olivenöl auf die eine Hälfte des Brotes und legt Tomate, Käse und Wurst darauf, dann klappt sie die andere Hälfte darüber und reicht Magnus das Sandwich. Für Joe und sich richtet sie auch solche Brote an. Sie essen alle drei mit unverkennbarem Genuss und einem gewissen Erstaunen darüber, wie gut diese einfache Mahlzeit zusammen mit dem kräftigen Wein mundet. Der Käse schmeckt ebenso würzig, wie er riecht, und das Brot ist knusprig und köstlich, wenn auch ein wenig trocken. Mercers Kiefer malmt, und wenn er den Mund öffnet, leuchten seine Zähne weiß in der Sonne. Irina bereitet noch ein Sandwich zu, und sie bringen Joe das spanische Sprichwort bei: »Wenn man Hunger hat, kann ein Brot gar nicht zu trocken sein.«
»Wein, Käse und Brot, viel mehr braucht man doch nicht«, sagt Irina und schaut glücklich lächelnd von einem zum anderen.
Magnus ist trotzdem etwas angespannt. Ihm gehen so viele Dinge durch den Kopf. Auf einmal hört er Flugzeuglärm in weiter Entfernung. Montero wacht auf und späht zum Horizont, wo man das Flugzeug als kleinen Punkt erkennen kann. Er holt ein Fernglas aus dem Handschuhfach. Montero hat den Wagen unter den Bäumen abgestellt und eine Plane darübergebreitet, damit er aus der Luft nicht so leicht zu sehen ist.
»Es ist eines von unseren«, sagt er. »Das kann ich hören, außerdem fliegen die Faschisten meistens in Dreierformationen. Es ist eines von unseren, Señor Meyer, da bin ich mir sicher. Wir können uns also entspannen und in aller Ruhe unsere Siesta genießen. Albacete läuft uns nicht davon.«
Irina geht pinkeln. Als sie zurückkommt, schläft Joe und schnarcht leise vor sich hin. Magnus liegt unter einem Olivenbaum und ist satt und schläfrig. Irina lässt sichneben ihm nieder, ihre Tasche legt sie sich als Kissen unter den Kopf. Sie seufzt wohlig. Er schaut auf ihre zarten Brüste, die rosige Haut neben ihren kleinen Ohren und auf ihren schlanken Bauch, der sich hebt und senkt. Sie sieht lächelnd zu ihm herüber und schläft dann so plötzlich ein wie ein kleines Kind. Sie dreht sich im Schlaf auf die Seite, dabei landet ihr Kopf auf seiner Schulter, und ihr Arm streicht über seinen Brustkorb. Er spürt ihre Brust an seinem Körper und sein eigenes Herz, das heftig schlägt, und er liegt mucksmäuschenstill und kämpft gegen den Schlaf an, weil er das Gefühl ihrer Nähe auskosten will, aber dann löst sich alles auf und wird dunkel.
Als er aufwacht, liegt sie auf dem Bauch, hat die Ellbogen aufgestützt und schaut ihn an. Sie streicht ihm die Haare aus der Stirn, die ihm wie üblich über die Augen gerutscht sind, und sagt auf Spanisch: »Wenn du schläfst, siehst du aus wie ein kleiner Junge. Weißt du das? Wie so ein süßer, unschuldiger Kleiner.«
»Ein kleiner Junge bin ich mit Sicherheit nicht.«
»Aber unschuldig?«
»Wer ist das schon?«
»Hast du denn viele Verehrerinnen?«
»Bin ich nicht derjenige, der um die Damen werben sollte?«
»Du bist, glaube ich, ein ganz schöner Charmeur, Magnus. Hast du gut geschlafen?«
»Ja. Und du?«
Sie nickt, und während sie ihre Hand kurz über seinen schmalen Schnurrbart und weiter über sein Kinn gleiten lässt, sagt sie: »Du hast nicht besonders viel Bartwuchs. Das gefällt mir. Du solltest dir nur diesen albernen Schnurrbart abrasieren. Gibst du mir eine
Weitere Kostenlose Bücher