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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Gewalttaten zu verüben. Wenn die Revolution gesiegt hat, kann es hier wirklich herrlich werden. Die Leute können lesen und schreiben lernen – auch die Arbeiter und die Kinder der Landbevölkerung. Dieses Land hat alle Möglichkeiten, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist und der Sozialismus kommt. Dann kann hier eine ganz neue und gerechte Gesellschaft aufgebaut werden.«
    »Das scheint mir ein eher langfristiges Projekt zu sein.«
    »Bist du etwa genauso zynisch wie Joe?«
    »Vermutlich. Aber du bist es nicht?«
    »Wenn man die Hoffnung sterben lässt, tötet man auch seine Menschlichkeit.«
    »Du sprichst gut Spanisch.«
    »Ich habe es an der Universität in Moskau gelernt und später auch hier im Land. Und wo hast du Spanisch gelernt«
    »In Argentinien.«
    »Argentinien! Darüber möchte ich mehr wissen.«
    Bereitwillig fängt er an zu erzählen, während der Wagen langsam die Berge hinauffährt. Die Luft ist im Laufe des Vormittags wärmer geworden, aber als sie höher hinaufkommen, sinkt die Temperatur wieder. Magnus schildert Irina wie ein fröhlicher Schuljunge das Leben in der Pampa, die Eleganz sowohl der Frauen als auch der Männer in Buenos Aires und die heftigen, abenteuerlichen und furchteinflößenden Gewitterstürme, die er in anderen Gegenden des großen Landes erlebt hat, in glühenden Farben.
    Er wundert sich im Stillen darüber, dass er sich so sehnlich wünscht, Eindruck auf die russische Dame zu machen, und dass ihm dies gelingen könnte, indem er ausgerechnetdas Leben in Argentinien in eindrucksvollen, impressionistischen Farben malt. Natürlich ist sie schön, aber es gibt viele schöne Frauen auf der Welt, und so außergewöhnlich hübsch ist sie nun auch wieder nicht, versucht er sich einzureden.
    Er erkundigt sich nach ihrem Leben in Russland, und sie erzählt, dass in Moskau, wo ihr Vater eine große Wohnung in einem neuen Gebäude besitze, das Kamerad Stalin im Zentrum errichtet habe, bald der erste Schnee fallen werde. Das Gebäude liege am Moskwa-Fluss gegenüber vom Kreml und sei nur eines von vielen Beispielen für den Eifer, mit welchem das Volk eine neue Gesellschaft errichte. Irinas Spanisch ist sehr sicher und fließend, und ihre Aussprache klingt so, wie Magnus sie von den Spaniern kennt. Sie spricht viel besser Spanisch als Englisch.
    »Es passieren so viele großartige Dinge in meinem Land, Magnus. Ich fühle mich unglaublich privilegiert, dass ich am Aufbau des Sozialismus teilhaben darf.«
    »Aber es passieren doch auch noch ganz andere Dinge, oder?«
    »Welche?«
    »Ich habe über die vielen Menschen gelesen, die hingerichtet werden.«
    »Bürgerliche Propaganda.«
    »Es wird also niemand hingerichtet?«
    »Nur Trotzkisten und andere Verräter. Die Revolution hat viele Feinde und muss sich gegen sie verteidigen.«
    Wieder scheint sich ein Schleier über den Glanz in ihren Augen zu legen, und er bereut, sich überhaupt auf eine politische Diskussion eingelassen zu haben. Die inneren Verhältnisse in ihrem Land gehen ihn nichts an, und während er ihr eine Zigarette anbietet und anzündet, beeilt er sich, möglichst beiläufig zu fragen: »Vermisst du den Schnee?«
    Sie lacht und atmet den Rauch durch die Nase aus. Alssie lacht, strahlen sowohl ihr Gesicht als auch ihre Augen wieder. Ihre Unterlippe ist ein wenig dicker als die Oberlippe, sodass ihr Mund die Form eines kleinen Herzens hat. »In Spanien gibt es auch Schnee, aber ich glaube, ich weiß, was du meinst. Ich bin seit über einem Jahr nicht mehr zu Hause gewesen, Magnus. Ich war schon hier, als im Februar vor einem Jahr die Wahl stattfand. Im Mai ’36 war ich für einen kurzen Besuch zu Hause, danach bin ich gleich hierher zurückgekehrt. Ich liebe Spanien. Ich liebe das Licht auf den verschiedenen Landschaften, die Art, wie es sich die ganze Zeit verändert, den Wein und die Menschen und das Klima hier im Süden. Ich hoffe, einmal hier leben zu können, wenn der Krieg erst gewonnen ist. Es gibt so viele Motive hier, die ich fotografieren, vielleicht auch malen möchte. Die Menschen. Die Landschaften. Die kleinen Dörfer. In Andalusien sind sie ganz, ganz weiß. Da musst du unbedingt einmal hinfahren.«
    Er mag es, wenn sie sich so ereifert. Die Locken kringeln sich wild um ihren Kopf, ihre Augen leuchten, und ihr Mund lächelt auf eine Weise, die ihn auch in sexueller Hinsicht erregt.
    Sie lacht ihn an: »Aber Moskau ist im Winter auch sehr schön, wenn alles mit Schnee bedeckt ist und man durch die Stadt geht

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