Die Wahrheit stirbt zuletzt
gesagt, dass es hier warmes Wasser gibt«, sagt er stattdessen.
»Dann sehen wir uns später.«
»Das wird sich wohl kaum vermeiden lassen.«
Das Wasser ist eine Wohltat, und das Duschen fühlt sich eigentümlich erotisch an, weil er in Irinas Badezimmer nebenan ebenfalls das Wasser rauschen hört. Es kostet extra, ein eigenes Bad zu haben, in dem es für ein paar Stunden am Tag warmes Wasser gibt, aber es ist das Geld wert, denkt er, als er sich die Haare einseift. Hinterher rasiert er sich gründlich. Er überlegt einen Moment, dann seift er auch seinen Schnurrbart ein und entfernt ihn mitzwei langen Zügen seines Rasiermessers. Er steht einen Augenblick still vor dem Spiegel und betrachtet sein nacktes Gesicht.
Er meint, Irina singen zu hören, aber vielleicht bildet er es sich auch nur ein. Er trocknet sich ab und stellt sich nackt an das halb offene Fenster und genießt es, den kühlen Wind auf der Haut zu spüren, während er auf die Plaza hinunterschaut. Auf einmal hört er, wie es an Irinas Tür klopft. Sie sagt auf Spanisch: »Einen Augenblick bitte«, dann hört er, wie eine schneidende Stimme irgendetwas auf Russisch sagt und wie Irina in derselben Sprache antwortet.
Magnus zieht seinen hellen Anzug und ein dunkles Hemd an, aber keine Krawatte, denn die scheinen auf der republikanischen Seite geradezu verboten zu sein, und seine bequemen Stiefel. Er legt seine schmutzige Wäsche auf einen Haufen, damit er das Zimmermädchen später bitten kann, sie für ihn zu waschen. Während er sich anzieht, hört er laute Stimmen aus dem Nebenzimmer. Die Wände sind eigentlich ziemlich dick, aber die Stimmen dringen durch Irinas halb offenes Fenster nach draußen. Er wünschte, er könnte verstehen, worüber sie sprechen. Es klingt ernst. Er hört vor allem die beiden tiefen Männerstimmen und zwischendurch immer wieder Irina, die so klingt, als versuche sie, sich zu verteidigen. Sie antwortet ihnen mit einer Stimme, die eine Oktave nach oben gerutscht ist, und er kann hören, dass sie wütend ist. Eines der russischen Wörter versteht er. Njet. Sie wiederholt es mehrmals. Njet , faucht sie, und die Männer verlassen das Zimmer. Die Tür fällt laut hinter ihnen ins Schloss.
Magnus geht auf den Flur hinaus. Er ist leer. Er bleibt einen Augenblick vor Irinas Tür stehen, legt ein Ohr an die Tür, hört aber nichts. Er klopft an und hört sie etwas auf Russisch sagen. Ihre Stimme klingt seltsam. Er klopftnoch einmal und sagt auf Spanisch: »Irina. Ich bin’s, Magnus. Ist alles in Ordnung?«
»Magnus. Es ist gerade etwas ungünstig.«
»Ich will nur sicher sein, dass bei dir alles in Ordnung ist.«
»Das ist es.«
»Dann mach bitte die Tür auf, Irina.«
»Geh jetzt bitte, Magnus.«
»Ich fange auf der Stelle an, eine Serenade zu singen, wenn du mir nicht die Tür aufmachst.«
»Jetzt geh schon, du Spinner.«
Er stimmt einen argentinischen Tango an, aber er kommt nur bis zur vierten Strophe, dann öffnet sie ihm die Tür.
»Magnus. Jetzt hör doch mit dem kindischen Kram auf.«
Ihre Augen sind ebenso feucht wie ihre Haare, die sich um ihren Kopf locken. In dem Dämmerlicht, das durch das große Zimmerfenster hereinfällt, sieht ihr Gesicht jung und zerbrechlich aus. Sie sieht ihn an und fährt liebkosend mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand über seine Oberlippe. Er nimmt vor allem das Erotische dieser Berührung wahr, und um seine Verlegenheit zu verbergen, geht er an ihr vorbei ins Zimmer, das genauso eingerichtet ist wie sein eigenes, nur spiegelverkehrt. Auch hier gibt es ein Doppelbett, einen Schrank mit einem Spiegel, einen Schreibtisch und einen Stuhl mit einer hohen Rückenlehne, einen Sessel auf einem dunkel gemusterten Teppich, der zu den dunklen Wänden passt. Die beiden Lampen im Zimmer sind angeschaltet, und er nimmt den feuchten Dampf aus dem Badezimmer wahr.
»Immer herein mit dir, Kamerad«, sagt Irina. »Er steht dir aber wirklich gut. Der fehlende Schnurrbart, meine ich.«
»Danke.« Er dreht sich um und fragt: »Wer waren die beiden russischen Herren? Ich konnte sie ziemlich deutlich hören.«
»Bekannte. Hast du eine Zigarette für mich, Magnus?«
Er zieht sein Päckchen hervor. Sein Vorrat ist bald aufgebraucht, er wird also in absehbarer Zeit auf dem Schwarzmarkt vorbeischauen müssen. Er zündet ihnen beiden eine Zigarette an. Sie geht zum Fenster hinüber und steht mit dem Rücken zu ihm da. Sie hat sich eine saubere Hose und ein helles Hemd angezogen. Die neue Hose sitzt
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