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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Zigarette?«
    Eigentlich möchte er nicht. Denn das bedeutet, dass er sich hinsetzen muss. Er möchte einfach nur das Gefühl ihrer zarten Hand auf seinem Gesicht bewahren, aber errichtet sich natürlich auf und zündet ihnen beiden eine Zigarette an.
    »Was schreibst du, Magnus? Schreibst du die Wahrheit?«
    »Was ist denn die Wahrheit?«
    »Eben. Deshalb frage ich dich.«
    »Es gibt vermutlich mehr als eine, meinst du nicht?«
    Ein Schatten huscht über ihr helles Gesicht, als sie sagt: »Ich glaube eigentlich nicht an Worte. Ich glaube eher an Bilder. Die lügen nicht. Früher wollte ich Schriftstellerin werden, aber jetzt nicht mehr. Willst du Schriftsteller werden?«
    »Nein, aber mein kleiner Bruder. Der ist es wohl schon. Er ist ein guter Dichter.«
    »Ah, Lyrik. Das ist etwas anderes. Gute Gedichte sind wunderschön. Sie sprechen das Herz an, nicht den Verstand. In Russland haben wir ganz hervorragende Dichter, und wir lieben sie. Lebt dein kleiner Bruder in Dänemark?«
    »Er ist hier in Spanien, vielleicht in Albacete. Er ist bei den Brigaden.«
    »Dann ist er also Kommunist?«
    »Mein Bruder ist Idealist. Ich glaube nicht, dass er Mitglied irgendeiner Partei ist. Bist du in einer Partei?«
    »Ja, natürlich. Sonst könnte ich kaum hier sein.«
    »Und die Fotos machen, die die Partei von dir verlangt?«
    »Nicht nur.«
    »Bilder können genauso manipuliert werden wie alles andere.«
    »Meine nicht. Ich weiß, dass einige Fotografen sich die Leute so hinstellen, wie sie sie haben wollen, sie bestimmte Dinge tun lassen, Situationen inszenieren. Sie entschuldigen das damit, dass es der Sache diene, aber ich finde das trotzdem falsch. Man kann sich gegen meine Bilder entscheiden,aber man kann sie nicht verändern«, sagt sie, aber er hat das Gefühl, dass sie ihren Worten selbst nicht ganz glaubt, und sie schaut weg.
    Er möchte, dass sie sich ihm wieder zuwendet: »Und du? Hast du Geschwister?«
    »Ich habe einen älteren Bruder. Er ist Offizier beim Heer. Es ist lange her, dass ich ihn zuletzt gesehen habe.« Ihre Stimme klingt etwas brüchig und heiser.
    »Dein Vater ist Diplomat. Und was macht deine Mutter?«
    »Ich habe sie verloren.«
    »Das tut mir leid.«
    »Es ist schon viele Jahre her. Sie hat Tuberkulose gehabt.«
    »Das ist eine furchtbare Krankheit.«
    »Ja, das ist sie.«
    »Und sonst? Sind die Familien in der Sowjetunion groß?«
    Sie sieht ihn an und sagt, ohne zu lächeln: »Manche ja. Meine nicht. Ich hatte einen Onkel, aber den treffe ich nicht mehr. Und meine Tante auch nicht.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Du bist ganz schön neugierig, Magnus. Sie sind irgendwo in Sibirien. In einem Lager, aber darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Es ist nicht immer ganz einfach.«
    Sie wendet den Kopf ab, wirft ihren Zigarettenstummel weg, steht schnell auf und versetzt dem schlafenden Mercer einen leichten Tritt mit dem Fuß: »Arriba, Schlafmütze. Wir müssen weiter.«
    Sie fahren los, aber die Stimmung ist nicht mehr dieselbe. Es herrscht Schweigen im Wagen, der jetzt durch die flache Steppe fährt, die sich bis nach Albacete erstreckt, das irgendwo vor ihnen im glühenden Sonnenschein in der gelb gesprenkelten Landschaft liegt. Montero wirkt ebenfalls angespannt. Er mag die flache Hochebene derMancha nicht, auf der die Flugzeuge der Faschisten ihn und seinen schönen schwarzen Privatwagen so leicht erwischen können.
    Endlich sehen sie die Stadt als einen merkwürdigen Haufen Steine in der gelben Steppe am Horizont auftauchen, wo der aufziehende Abendwind den Staub tanzen lässt. Sie fahren an zwei Dörfern vorbei, die verlassen zu sein scheinen. Auf den Feldern sind an mehreren Stellen die Reste von Getreide oder Heu zu sehen, die zwar gebündelt, aber nie eingefahren worden sind. Sie sehen Kirchtürme über der grauen Stadt aufragen, die ihre Farbe ebenso verändert wie die flache Steppe, als sie sich dem Stadtrand nähern. Die Landstraße sieht aus wie mit dem Lineal gezogen, und es herrscht überhaupt kein Verkehr. Sie fahren die leere Straße entlang, während die Sonne allmählich untergeht, und Magnus beschleicht das seltsame und beängstigende Gefühl, dass sie durch ein Meer aus getrocknetem Blut fahren, das die ganze Erde bedeckt.

13
    A lbacete macht auf Magnus den Eindruck einer hässlichen, dreckigen Provinzstadt mit schmalen, kopfsteingepflasterten Straßen und kleinen, geduckten Häusern aus grauweißem Lehm. Die Seitenstraßen sind staubig, und er nimmt an, dass sie

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