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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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gefährlicher Mann, Magnus.«
    »Wer waren die?«
    »Was weißt du über mein Land, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken? Das erste sozialistische Land, in dem wir den Sozialismus aufbauen, in dem wir den Kommunismus erschaffen. Was weißt du darüber?«
    »Das, was du mir erzählst. Und dass Josef Stalin dort mit harter Hand regiert …«
    »Kamerad Stalin ist der größte Führer seit Lenin.«
    »Und der brutalste.«
    »Wo man hobelt, da fallen Späne.«
    »Wenn du das sagst.«
    »Wir sind umgeben von Feinden. Es erfordert Stärke und Mut, das umzusetzen, was Stalin vorhat. Wir dürfen nicht wanken. Es ist wie hier in Spanien. Wenn wir wanken, gewinnen die Faschisten. Wir müssen auf der Hut sein vor Fünfte-Kolonne-Leuten, vor Agitatoren und Trotzkisten, vor den heimlichen Faschisten und anderen, die es darauf abgesehen haben, die Revolution außer Kraft zu setzen, nicht wahr, Magnus? Verstehst du das nicht?«
    »Du bemühst dich gerade, vor allem dich selbst davon zu überzeugen, habe ich recht?«
    Sie leert ihr Glas. Magnus schenkt ihr nach und macht dem Wirt ein Zeichen, er möge ihnen eine weitere Flasche bringen. In einer Ecke sitzen drei spanische Offiziere und sprechen leise miteinander. Sie schauen immer wieder zu ihrem Tisch herüber, aber es ist wohl vor allem Irinas Schönheit, die ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. In einer anderen Ecke sind zwei spanische Schwarzmarkthändler damit beschäftigt, sich nach dem Essen ordentlich zu betrinken.
    Irinas Stimme ist eindringlich, aber sie spricht betont leise, und es wirkt, als sei sie es gewöhnt, vorsichtig zu sprechen. »Wir müssen auf der Hut sein. Deswegen haben wir unsere Organe, verstehst du?«
    »Organe?«
    »Die Staatssicherheitsdienste natürlich. Das NKWD. Die neue Tscheka. Schwert und Schild der Partei, wie sie in der Lubjanka sagen.« Sie betrachtet ihre Zigarette, als würde sie erst jetzt bemerken, dass sie sie in der Hand hält. Sie nimmt einen Zug und lässt den Rauch langsam durch die Nasenlöcher entweichen, bevor sie sich über den Tisch lehnt und sagt: »Ich weiß nicht, warum ich dirdas alles erzähle. Ich bin wahrscheinlich schon zu lange nicht mehr in der Heimat gewesen. Ich fühle mich vermutlich durch meinen Vater und meinen Idealismus zu behütet. Ich will an die Revolution und an den Sozialismus glauben. Ja, das will ich. Sonst ist das Ganze doch sinnlos. Es ist anders als bei meiner Großmutter. Die hatte ihren Gott. Ich habe meine Großmutter geliebt, meine süße Babuschka, aber für Babuschka waren die Bolschewiken der Antichrist, weil sie die Kirchen geschlossen haben. Sie hat gesagt, sie habe mich taufen lassen. Kannst du dir das vorstellen, Magnus? Mich, die nicht an Gott glauben will. Aber ich habe sie geliebt.
    Ich sehe sie vor mir in der Datscha meiner Eltern, die in der Nähe des Flusses außerhalb von Moskau im Wald lag. Ein schönes, kleines Holzhaus mit einem großen Garten, in dem meine Mutter und meine Großmutter, als sie noch lebten, Gemüse und Blumen anpflanzten und für uns Kinder Saft einkochten. In meiner Erinnerung hat im Sommer immer die Sonne geschienen, und die Winter waren herrlich mit Schnee und klarem Frostwetter. Babuschka trug immer einen langen Rock, eine Bluse, ein Halstuch und ein geblümtes Kopftuch, das sie sich um ihre grauen Haare gebunden hatte. Sie kannte so viele Märchen von Trollen und Zwergen, von geheimnisvollen Elfen und Feen mit hohlem Rücken. Von Väterchen Frost und der kleinen Schneejungfrau, die so fürchterlich gefroren hat.
    Ihre Familie stammte oben aus dem Norden, aus Karelien. Sie liebte Tee mit Marmelade und Kuchen mit Zuckerguss. Klingt das nicht seltsam? Selbst als sie fast keine Zähne mehr hatte, liebte sie den harten Sandkuchen, den meine Mutter immer gebacken hat. Ich sehe sie immer noch vor mir, wie sie den Kuchen, den sie in den Tee mit der roten, selbstgekochten Marmelade stippt, nicht kaut, sondern nach und nach zwischen Ober- und Unterkieferzerdrückt. Und mein Vater und meine Mutter sind fröhlich – oder fast immer fröhlich. Und mein Bruder ist auch da, und er ist stark und frech und ärgert seine kleine Schwester, aber vor der Großmutter hat er Respekt. Und dann ist da noch die Sonne. Die warme Sonne über den Birken und der Fluss, der so blau ist wie die allerblauesten Augen.«
    Er lässt sie ihren Gedanken nachhängen. Sie ist ganz versunken im Land der Erinnerungen, in dem er sich selbst auch so gern verliert, wenn er nicht aufpasst. Sie

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