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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Morgen, als sie sich vor der Tür zum Frühstücksraum trafen. Schnell wie ein Taschenspieler hat sie ihn noch einmal über seine Oberlippe gleiten lassen und auf Spanisch wiederholt, dass es ihm wirklich gut stehe. Zwei Russen hatten sie aus dem Frühstücksraum mit einem Gesichtsausdruck angestarrt, den er als Missfallen deutete. Einen von ihnen erkannte Meyer als Kamerad Stepanowitsch vom Flughafen in Valencia wieder. Der andere war ein etwas dickerer Mann, der die gleiche schwarze, halblange Lederjacke wie Stepanowitsch und eine Leninmütze trug.
    Er denkt an Irina und daran, wie er sie zum Hotel zurückbegleitet und vor ihrer Zimmertür einen keuschenKuss aufs Kinn bekommen hat und dass er so lächerlich glücklich gewesen ist wie ein Schuljunge, der seine Angebetete nach dem jährlichen Abschlussball im Haus der Handelskammer nach Hause begleiten darf.
    Er ist ganz in Gedanken versunken, als Joe Mercer mit lauter Stimme offensichtlich zum wiederholten Male sagt: »Aber natürlich, mein Freund. Ich werde selbstverständlich den Mund halten, und bis nächstes Jahr um diese Zeit ist er bestimmt wieder nachgewachsen.« Er streicht sich über seinen eigenen dichten Schnurrbart.
    »Sehr witzig. Sollten wir uns jetzt nicht auf die Suche nach diesen Brigadisten machen?«
    »Das sollten wir.« Mercer wirft einen Blick über seine Schulter. »Ich wollte nur schnell sehen, ob deine Tschekisten heute mit von der Partie sind.«
    »Hast du sie beim Frühstück gesehen?«
    »Ich habe gehört, wie sie gestern nach dir gefragt haben.«
    »In welcher Sprache?«
    »Vermutlich in einer, die ich verstehe, nicht wahr, Magnus?«
    »Verfluchte Teufel.«
    »Das sind sie in der Tat, also nimm dich vor ihnen in Acht, und lass uns nach dem Weg zu unseren kämpfenden Brüdern fragen.«
    Zunächst werden sie von einem einbeinigen Messerverkäufer, der seine große Auswahl an Messern in einer Lederschürze mit vielen Taschen vor seinem Bauch hängen hat, in die falsche Richtung geschickt. Er deutet in die Richtung eines kleinen Hügels. Wie die meisten anderen wirkt er mitgenommen und arm, er hat ein unrasiertes, müdes Gesicht, trägt eine dünne Jacke und eine weite Hose und an seinem verbliebenen Fuß einen Stoffschuh mit Hanfsohle. Er stützt sich auf ein Paar Krücken. Er verkauft auch Schwarzmarktzigaretten, und sie kaufen ihm beide einige Päckchen ab.
    Joe und Magnus gelangen schließlich zur Stierkampfarena der Stadt, vor der ziemlich viele junge Männer mit Ranzen oder zerschlissenen Koffern in Grüppchen herumstehen. Der gelbe Anstrich des Gebäudes, das am Rande des eigentlichen Stadtkerns liegt, blättert an verschiedenen Stellen ab. Magnus bewundert trotzdem die feinen Ornamente, die roten Eingangstore und die Mühe, die man auf die obersten Mauerabschlüsse verwendet hat, die ihn an die Befestigungsanlage einer alten Ritterburg denken lassen. »Was für ein schönes Gebäude«, sagt er zu Joe, der zustimmend nickt.
    Sie müssen warten, bis eine Gruppe von etwa vierzig Rekruten durch das Haupttor marschiert ist. Sie singen in verschiedenen Sprachen »Die Internationale«, und sie singen besser, als sie marschieren. Einige von ihnen scheinen immer wieder aus dem Tritt zu kommen. An der Mauer hängen noch einige Stierkampfplakate aus der Zeit vor dem Krieg. Sie sind vergilbt, aber Magnus liest dort etwas über sechs prächtige und tapfere Stiere, die am Sonntag um siebzehn Uhr getötet würden, sofern Gott und das Wetter es zuließen. Die Namen der Stierkämpfer sagen ihm nichts. »Ich wüsste zu gerne, wo diese prächtigen Stiere sich jetzt befinden«, sagt er eher zu sich selbst.
    Mercer bleibt stehen, betrachtet das Plakat und antwortet: »Die sind allesamt aufgegessen worden. Sobald der Krieg begonnen hat, war es aus mit dem Stierkampf. Außerdem sind die besten Stierkämpfer seltsamerweise fast alle Faschisten.«
    »Das ist doch nicht so verwunderlich. Sie haben Grund und Boden, große Stücke Ackerland, oder sie sind abhängig von den Gutsbesitzern, die den Großteil des Grund und Bodens hier unten besitzen. Was hier zurzeit stattfindet, ist doch zugleich ein Krieg um Land.«
    »Zum Teufel noch mal, Magnus. Jetzt klingst du wie ein richtiger Kommunist.«
    »In Argentinien ist es dasselbe. Einige wenige besitzen das Land, auf dem die Massen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang für einen Hungerlohn schuften. ›Sol al sol y pagan un duro‹, wie sie hier sagen.«
    Mercer zieht an dem Plakat, das trotz der ausgeblichenen

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