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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Farben im Halbschatten zu leuchten scheint, und versucht, es von der Mauer abzureißen. »Falsche Reklame. Lass uns hineingehen«, sagt er und zündet sich eine Zigarette an. Ein Mann kommt heraus und ruft erst auf Deutsch und dann auf Englisch, man möge sich zu einer Gruppe zusammenfinden und in die Arena gehen.
    In der eigentlichen Arena liegt ein großer Haufen Kleidung im graugelben Sand. Die Zuschauerreihen sind leer, aber ein alter Mann, der nur noch einen Arm hat, erzählt ihnen, dass die Kleidung den Freiwilligen gehöre, die heute mit dem Zug angekommen sind. Sie seien ärztlich untersucht und in die Truppe aufgenommen seien. Sie haben sie gerade hinausmarschieren sehen, als wären sie Meister in »el arte de torear«. Magnus bedankt sich bei dem alten Mann, dem die ganze obere Zahnreihe fehlt sowie drei Zähne im Unterkiefer, und reicht ihm eine Zigarette, die er mit einem Streichholz anzündet, das er an der geriffelten Sohle seiner flachen Schuhe entflammt. Der alte Mann bleibt bei ihnen stehen, und Magnus gibt ihm noch eine Zigarette, die er sich hinter das Ohr steckt. Dann bekommt er noch eine für das andere Ohr und sagt, das hier sei nicht das Hauptquartier, falls sie das suchten, und deutet auf die Stadt hinunter.
    »Die alte Kaserne der Zivilgarde, compañeros. Da findet ihr die Ausländer. Aber seid vorsichtig. Die Geister mögen diesen Ort. Da gibt es genügend Blut für alle.« Er spuckt mit seinem beinahe zahnlosen Mund und macht mit seiner rechten Hand das Teufelszeichen und deutet damit auf sie, sodass es Magnus kalt den Rücken hinunterläuft.
    »Was zum Teufel hat er denn damit gemeint?«, fragt er und übersetzt Joe, was der Alte gesagt hat.
    Kopfschüttelnd erwidert Mercer: »Dieses Land ist voll von Verrückten. Vor dem Krieg war die Zivilgarde in den quadratischen Gebäuden untergebracht. Wie in den meisten anderen Orten hat sich die Zivilgarde auch in Albacete gegen die legal gewählte Republik erhoben, aber nach schweren Kämpfen übernahm die Arbeitermiliz Ende Juli 1936 die Herrschaft. Die überlebenden Zivilgardisten ergaben sich, aber es lag noch immer Blutdurst in der Luft, sodass die Miliz auf die weiße Fahne gepfiffen und den ganzen Haufen erschossen hat, inklusive Frauen und Kinder. Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber in Spanien sind die Lager der Zivilgarde wie kleine Dörfer, in denen die Gardisten mit ihren Familien wohnen. Alles war voller Blut, sodass niemand mehr die Gebäude nutzen wollte, bis vor etwa einem Jahr einige gründliche deutsche Kommunisten alles sauber machten und den Ort als Hauptquartier der Internationalen Brigaden herrichteten. Platz genug gab es dort ja und funktionierende Telefone und Räume sowohl für Büros als auch zum Wohnen. Es musste einfach nur gründlich sauber gemacht werden.«
    Von außen wirkt das Kasernengebäude zunächst wie ein großer Wohnblock, aber es sind mehrere Gebäude, die wie bei einem amerikanischen Fort um einen großen Hof gruppiert sind. Es gibt nur ein Tor, durch das man in den Hof hineingelangt. Über dem Tor steht der Leitspruch der Zivilgarde: »Por la Patria«, aber die verblassten Buchstaben sind von Einschusslöchern umgeben.
    Für das Vaterland, denkt Magnus. Aber welches Vaterland und wie definiert man Vaterland? Ist es dort, wo man geboren ist, oder ist es dort, wo man sich zu Hause fühlt. Er tut sich schwer mit der hochtrabenden Rhetorik, die die Leute verwenden, sobald sie vom Vaterland und der nationalen Pflicht sprechen. Er hat den Eindruck, dassdiese Worte immer in einem großen Blutvergießen enden. Man hält sich für besser als die anderen, und deswegen müssen sie sterben. Er denkt an Irina und ihr sozialistisches Vaterland, das wieder etwas ganz Eigenes ist. Früher einmal hat man von Russland gesprochen, aber jetzt ist es ein ganz anderes Land, wem gilt also ihre Vaterlandsliebe: dem alten Russland, dem sie entstammt, oder der neuen Sowjetunion, an die sie jetzt glaubt? Ihm ist natürlich nicht entgangen, dass sie die Augen vor den Ungeheuerlichkeiten in der Sowjetunion verschließt, über die man in den Zeitungen liest. Und was ist mit den Dichtern des alten Russland, die ebenjenes Russland preisen, mit dem die neue Sowjetunion jetzt so hart ins Gericht geht. Kann man eine Idee mehr lieben als ein Land, oder liebt man bloß die Vorstellung von einem Land?
    Die Deutschen verwenden das Wort »Heimat« in einem geradezu religiösen Sinne. Ihr Kindermädchen bekam immer einen ganz verklärten Blick,

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