Die Wahrheit stirbt zuletzt
Abfallhaufen, und der Gestank von Urin und Exkrementen schwebt über allem und vermischt sich mit dem salzigen Geruch des Meeres und dem unangenehm süßlichen Geruch modrigen Tangs. In den Ruinen flitzen Ratten umher.
In der Calle Mayor finden sie ein kleines Hotel in der Nähe eines Restaurants namens Columbus. Dort ergattern sie zu einem völlig überhöhten Preis zwei Spiegeleier mit weißen Bohnen in Tomatensauce. Joe Mercer kennt das Lokal offensichtlich, erklärt Magnus aber nicht, woher. An der Bar stehen zwei Männer in Marineuniformen, trinken Anisschnaps mit Wasser und streiten sich leise. Die schwarze Hose des Kellners, sein weißes Hemd und seine schwarze Weste sehen abgewetzt und ungebügelt aus.Es riecht nach schwarzem Tabak und Männerschweiß, aber Magnus und Joe bleiben dennoch sitzen und trinken Bier. Die beiden Männer und sie sind die einzigen Gäste.
Als der Kellner mit einem weiteren Bier kommt, spricht Magnus ihn darauf an. Der Kellner betrachtet sie mit zusammengekniffenen Augen. Auf der linken Wange hat er eine Narbe, die aussieht wie ein Sägeblatt. Sein dünnes Haar ist von der Stirn aus glatt nach hinten gekämmt, sodass die fettigen Haarsträhnen fein säuberlich nebeneinanderliegen wie die Furchen eines frisch gejäteten Rübenackers. Seine Stimme ist tief und heiser, als er sagt: »Meine Herren, es herrscht Krieg. Die Leute haben kein Geld. Sie können nichts anderes tun, als zu Hause sitzen, Radio hören und darauf warten, dass der Krieg zu Ende geht. Falls sie überhaupt noch ein Haus haben, in dem sie sitzen können.«
Joe schaut ständig auf seine Uhr. Die weiße, runde Uhr des Cafés, die mit ihren römischen Ziffern und den schwarzen Zeigern über der Bar hängt, muss eines Nachmittags um 16.23 Uhr stehen geblieben sein. Draußen vor der Tür ist es dunkel geworden.
Gegen zwanzig Uhr kommt ein junger Mann herein. Er ist klein und sehr mager, und der Schatten eines dunklen Bartes zeichnet sich in seinem Gesicht ab. Er hat ziemlich lange Haare und trägt einen blauen Overall mit einem schmalen Gürtel in der Taille und die üblichen Espadrilles an den Füßen. Eines seiner Augen ist vereitert und zugeschwollen, mit dem anderen blickt er sich um. Als er Joe und Magnus entdeckt, versucht er zu lächeln. Im Oberkiefer fehlen ihm vier Zähne, und sein Unterkiefer besteht nur noch aus schwarzen Stummeln. Er geht quer durch den Raum zu ihrem Tisch, zieht einen Stuhl heran und setzt sich. »Ist einer von euch der Yankee?«, fragt er auf Spanisch.
Joe Mercer sieht Magnus an, der mit dem Kopf in RichtungJoe nickt und sagt: »Das ist Señor Mercer, aber er spricht kein Spanisch, daher bin ich ihm behilflich.«
»Muy bien, Señor. Fragen Sie ihn bitte zuerst nach dem Geld.«
»Er fragt nach dem Geld, Joe.«
»Frag den Mistkerl, ob er eine Nachricht für mich hat.«
»Mein Kamerad möchte wissen, ob du eine Nachricht für ihn hast.«
»Die habe ich.«
»Und?«
»Das Geld, Señor . «
Das versteht Joe offensichtlich. Er holt einen großen Umschlag aus seiner Innentasche, öffnet ihn halb und zeigt dem mageren, verschreckten jungen Mann die vielen Pesetascheine, die sich darin befinden.
»Don Irribarne will den Yankee morgen um Punkt neun Uhr oben auf dem Hügel treffen. Er soll alleine kommen.«
Magnus übersetzt, und Joe sagt: »Das heißt, er hat das, was ich benötige, morgen dabei?«
»Sie können Ihrem Freund sagen, Señor, dass man die Informationen beschafft hat und dass der Preis dafür wie abgemacht ist«, sagt der junge Mann, als er Meyers spanische Übersetzung gehört hat.
Joe reicht ihm den Umschlag. Der nimmt ihn gierig entgegen, erhebt sich schnell und schlüpft wie ein flinkes kleines Nagetier zur Tür heraus.
»Möchtest du mir das vielleicht erklären, Joe?«, fragt Magnus ruhig und trinkt einen Schluck von seinem Bier.
»Es gibt Dinge, die du nicht wissen musst. Du übersetzt. Alles andere kannst du beruhigt Onkel Joe überlassen.«
Magnus beugt sich vor. Eine Menge Fragen und Zweifel schwirren durch seinen Kopf, aber noch bevor er den Mund öffnen kann, heult aus dem Lautsprecher, der sichdirekt vor der Tür des Cafés befindet, eine Luftschutzsirene laut auf. Der plötzliche Lärm lässt den Kellner zusammenzucken, und das große Bierglas, das er gerade abtrocknet, fällt ihm aus der Hand. Es schlägt auf dem Rand des Tresens auf und zersplittert am Boden. Doch wegen des an- und abschwellenden Sirenengeheuls hören sie es nicht klirren.
»Sie sollten
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