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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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lieber einen der Luftschutzräume aufsuchen, meine Herren«, sagt der Kellner. Sein Gesicht ist von Schweißperlen bedeckt. Seine Stimme klingt bemüht ruhig, aber vor allem resigniert. »Wir schließen jedenfalls.«
    Magnus wirft einige Geldscheine auf den Tisch. Sein Herz schlägt schneller. Joe steht auch sofort auf.
    Das durchdringende Geheul der Sirenen ertönt aus mehreren Richtungen und übertönt den Klang der eilenden Füße, die auf dem Kopfsteinpflaster ein merkwürdig kratzendes Geräusch erzeugen. Die Menschen sind nur als Schatten zwischen den weißgrauen Häusern auszumachen, während sie vornübergebeugt dicht an den Fassaden entlanglaufen, alle in dieselbe Richtung. Irgendwo stolpert eine alte Frau, aber niemand bleibt stehen, um ihr zu helfen, obwohl sie lautstark jammert. Als sie den Eingang zum Luftschutzkeller erreichen, der in den Berg gehauen ist, der sich vom Zentrum zum Hafen hin erstreckt, sind noch keine Bombenflugzeuge zu hören.
    In den grob in den Stein gehauenen Räumen brennt ein fahles Licht. Die nackten Felswände sind feucht. Es sind tatsächlich so viele Menschen hier, wie Magnus befürchtet hat, aber Joe und er ergattern einen Platz auf einer Holzbank in der Nähe des Eingangs, wo es zumindest ein bisschen frische Luft gibt. Familien sitzen mit leeren Gesichtern in Grüppchen zusammen. Kinder scharen sich um ihre Mütter. Die meisten sehen ziemlich abgemagert aus und tragen abgewetzte Kleidung. Die Männer rauchen, und in einer Ecke lässt man diskret eine Flaschekreisen. Der Luftschutzraum scheint sich endlos in den Berg hinein auszudehnen. Schatten tanzen an der groben Felsendecke, deren Farbe zwischen schwarz und blassgelb changiert.
    Männer in schwarzen Jacken und mit roten Armbinden gehen paarweise durch die Felsengrotten und inspizieren sie, während sie die Lichtkegel schwerer Stableuchten über die erschöpften, bleichen Gesichter gleiten lassen.
    Der Geruch ist das Schlimmste, denkt Magnus. Der Gestank von Verwesung, Tod, Angst und Niederlage. »Igitt, wie widerlich«, sagt er auf Dänisch.
    Joe Mercer stöhnt ebenfalls angewidert: »Ich weiß zwar nicht, was du eben gesagt hast, aber ich glaube, ich habe es trotzdem verstanden.« Er reicht Magnus eine Zigarette, zündet sie an und fährt fort: »Alle Welt hat von der baskischen Stadt Guernica gehört, aber Cartagena war die erste Stadt der Weltgeschichte, die Massenbombardements aus der Luft ausgesetzt war. Im November 1936 wurde sie von einem verdammt schweren Angriff getroffen, und viele, viele Menschen kamen dabei ums Leben. Es war eine ganze Horde von diesen verfluchten Heinkel-Flugzeugen mit gewöhnlichen Bomben und Brandbomben an Bord, und das deutsche Oberkommando wollte einfach mal ausprobieren, wie gut die eigentlich sind. Lass uns das Scheißzeug doch mal testen und sehen, was es so anrichtet. So denken diese Arschlöcher. Damals gab es noch keine Luftschutzräume, weil sich niemand vorstellen konnte, dass sie eine ganz gewöhnliche Stadt angreifen würden. Viele sind geflohen und nicht mehr zurückgekehrt. Das hier ist eine Stadt voller Angst und Gespenster, die durch die schmalen Gassen irren und sich in den Ruinen verstecken.«
    In dem flackernden Licht kann Magnus Mercers Zorn und Verbitterung erkennen, als er über die Kinder und ihre ängstlichen, leblosen Augen spricht und über denHunger, der ein ständiger Gast in vielen Häusern ist. Sie leben von schlechtem, nährstoffarmem Brot, Eselfleisch und weißen Bohnen oder Linsen. Aber die Stadt ist die Lebensader, auf der die Hilfslieferungen aus der Sowjetunion in die bedrängte Republik gelangen. Sie muss also am Leben erhalten werden.
    »So eine Art von Krieg, Magnus, haben wir noch nie zuvor erlebt. Flugzeuge gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung. Sie haben gerade erst erkannt, wie grausam, aber auch wie effektiv das ist. Wenn der große Krieg noch zu unseren Lebzeiten ausbrechen sollte, wirst du Städte brennen sehen, als hätte der Teufel höchstpersönlich sie angezündet. Das ist kein Krieg unter Soldaten. Das ist ein Krieg gegen Mütter und Kinder. Und das kotzt mich an.«
    »Das verstehe ich, Joe. Ich wusste nur nicht, dass du so viel Mitgefühl mit deinen Mitmenschen hast.«
    »Fuck, nein. Was sollte das auch bringen? Was kann man denn schon dagegen tun? Du hast recht. Es ist Zeitverschwendung, aber man sieht halt so viel Schreckliches, verdammt noch mal. Die deutschen Teufel begnügen sich nämlich nicht mit dem Hafen, Magnus. Sie

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