Die Wahrheit über Alice
ihres bevorstehenden Konzerts war. Die anderen Musiker
seien großartig, sagte sie, und sie seien sich alle völlig einig, wie das Stück interpretiert werden müsse. Ich sprach gern
über Musik, und ich kannte die Leute, von denen Rachel sprach, deshalb hörte ich interessiert zu, aber nach einer Weile merkte
ich, dass Carly sich langweilte. Sie ließ die Augen schweifen und fing an, ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte
zu trommeln.
«Carly», sagte ich. «Hallo? Langweilen wir dich zu Tode?»
«Sorry.» Rachel hob die Hände an ihre geröteten Wangen. «Ich quassel euch hier die Ohren voll, nicht? Aber ich bin einfach
so aufgeregt. Tut mir leid. Los, reden wir über was anderes.»
Carly überging Rachels Entschuldigung mit einem Kopfschütteln. «Wie spät müsst ihr zu Hause sein?», fragte sie.
«Ich zu keiner bestimmten Zeit.» Ich sah Rachel an. «Aber du musst noch üben.»
Rachel sah auf die Uhr. «Ja, aber es ist kurz nach vier. Ich hab noch massenweise Zeit.»
«Du kennst doch Jake und Ross und die anderen Jungs?» |66| Carly sah mich an, und ich sah an ihrem Lächeln, dass sie etwas vorhatte, bei dem ich Rachel nicht gern dabeihaben würde.
«Ja.» Ich kannte sie vom Sehen. Sie waren auf der Jungenschule und eine Klasse über Carly und mir. Sie spielten in einer Band
und galten als sehr wild und sehr beliebt.
«Die proben heute Nachmittag mit der Band. In der alten Scheune. Na ja, ich glaub, eigentlich wollten sie proben, aber jetzt
ist daraus mehr eine Party geworden. Anscheinend wollen eine ganze Menge Leute hingehen. Leute aus der Elften und Zwölften.
Das heißt: Musik, ein paar Bierchen und so. Könnte lustig werden.»
«Klingt super», sagte ich.
«Eine Bandprobe?», fragte Rachel. «Wie cool. Das würd ich mir gern anhören. Kann ich mitkommen?»
«Die sind alle aus der Oberstufe, Rach. Da wird Alkohol getrunken und so. Du würdest dich völlig fehl am Platz fühlen.»
«Wenn die Musik gut ist, bestimmt nicht.»
«Nein. Ausgeschlossen. Sei nicht albern. Du musst nach Hause und üben.»
«Ach, komm schon, Katie. Bitte. Wie wär’s, wenn ich mitkomme, ein bisschen zugucke und dann gleich nach Hause gehe? Ich weiß,
du hältst mich noch für ein Baby, aber das stimmt nicht. Ich will auch mal ein bisschen Spaß haben. Ich muss in den nächsten
Wochen jede freie Minute üben. Die Musik wird mich inspirieren. Bitte.»
«Dich inspirieren?» Ich verdrehte die Augen. «Ja klar. Grunge Rock von einer Amateurband? Träum weiter.»
«Bitte, Katie. Bitte. Nur für eine Stunde.»
«Nein.»
«Ach, verdammt nochmal», sagte Carly und sah mich gereizt an. «Jetzt lass sie doch mitkommen. Was soll’s? Wir verlieren bloß
Zeit mit dem ganzen Palaver hier.»
|67| Ich hatte eigentlich keinen Grund, so stur zu sein. Wir könnten für eine Stunde hingehen und wären noch vor Mum und Dad zu
Hause, und Rachel hätte noch reichlich Zeit zum Üben. Aber ich wollte sie einfach nicht mitnehmen müssen. Wenn ich das sagte,
würde Rachel anfangen zu weinen, und wenn sie weinte, würde sie alles vermasseln – ich würde sie nach Hause bringen, mich
um sie kümmern, ihr die Rotznase abwischen müssen. Auch wenn sie das anders sah: Manchmal war sie doch nur ein großes Baby.
«Also schön, von mir aus.» Ich sprach bewusst mit unterkühlter Stimme. «Du darfst mitkommen. Aber gib hinterher nicht mir
die Schuld, wenn Mum und Dad Stress machen.»
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V ivien versucht, es zu überspielen, aber ich sehe ihr an, wie überrascht sie ist, als ich sage, dass ich mit Alice und Robbie
übers Wochenende wegfahre. Sie drückt mich ganz fest, bevor sie zur Arbeit geht.
«Viel Spaß, junge Dame», sagt sie.
Wir haben uns für den Süden entschieden, und wir nehmen mein Auto, den neuen Peugeot, weil er am schnellsten und am bequemsten
ist. Wir fahren am Freitagmorgen los. Alice und ich müssten eigentlich zur Schule, aber mit uns Zwölftklässlern sind die Lehrer
einigermaßen nachsichtig. Wahrscheinlich verlieren sie nicht mal ein Wort darüber, dass wir schwänzen. Ich habe auf alle Fälle
meinen «Hamlet» eingepackt und fest vor, ihn noch einmal zu lesen, wenn wir faul am Strand in der Sonne liegen. Robbie hat
sich das Wochenende freigenommen, was in seinem Restaurant nur selten geht, und er sitzt am Steuer, weil er von uns als Einziger
schneller als 80 km/h fahren darf. Wir drei sind aufgekratzt und bester Laune und lachen und witzeln fast die ganze
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