Die Wahrheit über Alice
Alice», sagt er. «Sie hat heute irgendwas vor. Der Abend wird noch in Tränen enden.»
«Wie meinst du das?» Ich spüre, wie sich eine üble Vorahnung in meiner Magengrube festsetzt. Ich will nicht, dass irgendetwas
Unangenehmes passiert. Ich will nicht, dass Alice sich danebenbenimmt, sich Gemeinheiten leistet. Ich will nicht, dass Robbie
und Alice sich trennen oder dass Alice irgendwas Schreckliches tut, was mich zwingen könnte, meine Freundschaft zu ihr in
Frage zu stellen. Die Vorstellung, das alles könnte vorbei sein, ist einfach zu beängstigend, um sie zuzulassen, und ich muss
die aufsteigende Panik niederringen, die mich bei dem Gedanken an eine Zukunft ohne meine Freundschaft zu Robbie und Alice
erfasst, eine unerträgliche Zukunft, weil sie viel zu einsam und trostlos und unglücklich wäre. «Komm, wir essen was, und
dann schaffen wir sie hier raus. Bringen wir sie nach Hause und ins Bett.»
Robbie sieht mich an. «Du hast sie vorher noch nie so erlebt, nicht?»
«So wie jetzt? Ich weiß nicht. Ich hab sie noch nie so bewusst unfreundlich erlebt, wenn du das meinst.»
Er schüttelt den Kopf. «Das hier ist anders. Ich habe sie schon ein paarmal so erlebt. Es ist richtig unheimlich. Und beängstigend.
Sie ist auf einem Selbstzerstörungstrip. Wir werden es heute Abend auf gar keinen Fall schaffen, zu ihr durchzudringen. Sie
wird nicht zuhören. Weder dir noch mir, noch Ben oder Philippa. Und ich gehe jede Wette ein, dass sie es richtig krachenlassen |109| will. Und sie wird Philippa und Ben mit reinziehen, wart’s ab.» Er lacht bitter. «Sie kann ganz schön fordernd sein, wenn
sie so ist.»
Mir ist nicht klar, was Robbie eigentlich genau befürchtet. Ich kann ihm nicht richtig folgen, aber ich habe trotzdem Angst.
«Dann ziehen wir am besten mit ihr los und amüsieren uns. Gehen tanzen oder so. Wir können doch auf sie aufpassen, oder? Wir
können dafür sorgen, dass nichts Schlimmes passiert.»
«Wenn ich du wäre, würde ich jetzt abhauen, ehe es zu spät ist. Ich würde selbst auch am liebsten verschwinden, aber irgendwer
muss sich ja darum kümmern, dass sie lebendig nach Hause kommt. Sie ist betrunken oder high oder sonst was.» Er wirft wieder
einen Blick zum Tisch hinüber. «Oder sie ist in irgendeinem psychotischen Zustand.»
Alice redet auf Philippa ein. Philippa hat die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt und sich zurückgelehnt, möglichst
weit weg von Alice. Sie lächelt nicht.
Wir nehmen die Getränke, und als wir auf dem Weg zurück zum Tisch sind, springt Philippa auf. Sie eilt mit gesenktem Kopf
in Richtung Toiletten.
«Ist alles in Ordnung mit Philippa?», frage ich Ben, während wir die Getränke hinstellen.
«Ich …» Er sieht Alice an. «Ich glaube, sie könnte …»
«Sie ist stinkig, weil ich was über Ben und mich erzählt habe.» Alice lacht. «Menschenskind, Ben. Diesmal hast du dir aber
eine ganz schön Verklemmte geangelt. Wenn du jemanden gesucht hast, der ganz anders ist als ich, dann bist du echt fündig
geworden.»
Ben lacht unsicher. Ich bin fassungslos, dass er einfach sitzen bleibt, und will gerade fragen, ob ich mal nach Philippa sehen
soll, als Robbie aufsteht.
|110| «Ich hab das Wasser vergessen», sagt er und geht zurück zur Bar.
Und dann sehe ich, warum Ben es nicht eilig hat, Philippa hinterherzulaufen. Als Robbie sich abwendet, schiebt Alice eine
Hand unter den Tisch. Sie legt sie auf Bens Oberschenkel, ganz weit oben, und dann bewegt sie den Arm, sodass ihre Hand direkt
auf seinem Schritt liegt.
Ich stehe abrupt auf. Alice lächelt mich an, ein Lächeln ohne jede Wärme, und ich bin sicher, dass sie weiß, was ich soeben
gesehen habe, und dass sie sich freut.
«Ich geh mal zur Toilette.» Ich bugsiere mich so unbeholfen zwischen dem Tisch und meinem Stuhl hindurch, dass der Stuhl nach
hinten kippt. «Scheiße», sage ich und kann ihn noch gerade rechtzeitig an der Rückenlehne auffangen. «Scheiße.»
«Entspann dich, Katherine», sagt Alice. «Was ist denn los mit dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.»
Ich richte mich kerzengerade auf und funkele sie an, und dann sehe ich Ben an, der wenigstens den Anstand hat, verlegen aus
der Wäsche zu gucken. «Ich geh zur Toilette», sage ich, so kalt und so ruhig, wie ich kann. «Um nach Philippa zu sehen.»
Alice zuckt gleichgültig die Achseln. Ich wende mich ab und gehe zu den Toiletten. Ich frage mich, ob Robbie,
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