Die Wahrheit über Alice
an der Schulter. Er sieht mich an, und sein Gesichtsausdruck ist vollkommen ausdruckslos.
Unfreundlich. Ich lächle, doch er schaut weg und wendet sich wieder Philippa zu.
«Hey.» Philippa nimmt seine Hand. «Das ist Katherine. Ich hab dir von ihr erzählt, erinnerst du dich?»
«Ja.» Mick nickt, noch immer ohne zu lächeln, und sieht mich ganz kurz an. «Hi.»
Ich bin nicht in der Stimmung, mir eine solche Unfreundlichkeit bieten zu lassen. Ich habe auch keine Lust, nett zu ihm zu
sein. «Hi», sage ich ebenso unterkühlt und wende mich dann ab, um mich in der Kneipe umzuschauen.
«Katherine hat Kopfschmerzen», sagt Philippa. Ich blicke sie an und runzele verwundert die Stirn. Ich frage mich, woher sie
das weiß, und außerdem ärgert es mich ein wenig, dass sie meint, meine Unfreundlichkeit erklären zu müssen. Ihr Bruder ist
schließlich derjenige, der sich rüpelig benimmt. Ich reagiere nur entsprechend. Philippa beugt sich vor und legt ihre Hand
auf meine. «Mick kann sie vertreiben.»
«Vertreiben?»
«Deine Kopfschmerzen», sagt Mick und sieht mich an. «Wenn du willst.»
«Was?» Ich schüttele den Kopf. Plötzlich bin ich sicher, dass er mir Drogen anbieten will. «Ach so, nein danke.» Ich hebe
meine Glas Limo. «Ich muss morgen lernen. Abschlussklausuren.»
«Er meint doch keine Drogen, falls du das denkst», lacht Philippa. Sie hat sofort verstanden, was ich meinte. «Er kann sie
mit Massage vertreiben. Das funktioniert wirklich. Es ist echt absolut erstaunlich. Vertrau mir. Probier’s mal.»
|152| Ich male mir aus, wie dieser seltsam unfreundliche Mann mir die Schultern massiert, meine Haut berührt, und muss fast lachen,
so absurd ist der Gedanke. Ich schüttele den Kopf. «Nein. Es geht schon. Danke trotzdem.»
Doch ehe ich weiß, wie mir geschieht, sitzt Mick auf dem Stuhl mir gegenüber und nimmt meine rechte Hand. Er hält sie ganz
ruhig und drückt mit den Fingern seiner anderen Hand auf die weiche, fleischige Stelle zwischen Zeigefinger und Daumen, bewegt
sie in kleinen Kreisen. Er fährt mit seinem Daumen über mein Handgelenk, dann wieder über die Handfläche und den Mittelfinger
hoch.
Ich will schon lachen, meine Hand zurückziehen und eine zynische Bemerkung über derlei Methoden machen, als Mick meine Hand
noch fester drückt und sagt: «Noch nicht. Hab Geduld.» Und dann lächelt er.
Sein Lächeln bewirkt eine Verwandlung, wie ich es noch nie bei einem Lächeln gesehen habe. Es belebt sein ganzes Gesicht.
Was zuvor mürrisch, finster und verschlossen war, ist jetzt warm, offen und freundlich. Sein Grinsen ist breit, es bringt
ebenmäßige und weiße Zähne zum Vorschein, und seine tiefliegenden braunen Augen sind umrahmt von wahnsinnig langen Wimpern.
Er ist unglaublich attraktiv. Und ich bin mir mit einem Mal sicher, dass ich nie zuvor einen schöneren Mann gesehen habe.
Verblüffenderweise lässt die dumpfe Verspannung in meinen Schläfen nach. Es ist, als ob er mit jedem kleinen Kreis, den er
mit den Fingern auf der Haut meiner Hand beschreibt, die Kopfschmerzen herauszieht und sie tilgt. Ich betrachte sein Gesicht.
Er konzentriert sich voll auf das, was er da tut. Er sieht mich nicht mehr an, lächelt nicht mehr, sondern hat all seine Aufmerksamkeit
auf meine Hand gerichtet.
Und dann kneift er mir so fest in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger, dass es wehtut.
|153| «Au!» Er lässt meine Hand los, und ich ziehe sie rasch weg. «Das hat wehgetan.»
Er sieht mich bloß an, fragend, wartend.
«Sie sind weg.» Ich lege meine Hand an die Schläfe und schüttele ungläubig den Kopf. «Sie sind völlig verschwunden.»
«Wunderbar, was? Ich hab doch gesagt, es funktioniert, nicht? Mein schlauer kleiner Bruder.» Philippa schaut Mick stolz an,
aber Mick wendet den Blick nicht von mir ab. Er lächelt noch immer nicht, aber in seinem Gesicht liegt jetzt unübersehbar
ein warmer Ausdruck, ein Anflug von Belustigung. Er sieht mich so lange an, bis ich schließlich ein wenig verlegen werde.
Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt und meine Wangen rot anlaufen.
«Ja. Ja, wirklich. Danke.» Ich reiße mich von seinem starrenden Blick los und wende mich an Philippa. «Ich hol uns noch was
zu trinken», sage ich, hebe mein Glas an die Lippen und kippe den Rest rasch herunter. Ich stehe auf. «Noch ein Glas, Philippa?
Willst du auch was, Mick?»
«Nein danke.» Philippa schüttelt den Kopf.
«Ich nehm ein Bier», sagt
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