Die Wahrheit über Alice
wissen.»
«Oh.» Ich schweige einen Augenblick lang. «Hast du das Gefühl, er würde deine Mum irgendwie betrügen oder so?»
«Nein. Überhaupt nicht. Mum ist tot. Sie würde wollen, dass Dad glücklich ist.»
«Und?» Ich bin verwirrt. «Wieso freust du dich dann nicht für ihn? Wo liegt das Problem?»
«Ich bin neidisch.» Seine Stimme ist voller Selbstekel. «Die ser Neid ist so armselig. Ich weiß, ich sollte mich für ihn freuen, denn er würde sich ganz bestimmt für mich freuen. Aber mein
einziger Gedanke ist: Wieso darf er sich verlieben und diese tolle Beziehung haben, während ich mir von Alice das Herz in
Stücke reißen lasse? Wieso darf er so glücklich sein? Er ist ein alter Mann. Eigentlich müsste ich das tolle Liebesleben haben.
Nicht er. Das ist beschämend. Ich ertrage es nicht, ihn anzusehen, mit diesem lächerlichen, verliebten Ausdruck im Gesicht.»
«Ach, Robbie.» Ich bin froh, dass er das Lächeln in meinem Gesicht nicht sehen kann.
«Siehst du? Ich bin ein mieses Arschloch. Ich bin schlecht. Ich habe alles verdient, was Alice mit mir macht.»
Und dann kann ich mich nicht mehr halten – ich pruste los. Robbie ist still, und sein Schweigen, das Gefühl, dass ich nicht
lachen sollte, führt lediglich dazu, dass ich noch heftiger lache. |149| Ich will aufhören und versuche, die Kicherlaute, die ich von mir gebe, zu dämpfen, aber dann ist es plötzlich egal, weil Robbie
auch lachen muss. Und wir lachen so ausgelassen, dass das Bett zittert und wir die Decke wegstrampeln und uns herumwälzen.
Wir lachen, bis uns der Bauch wehtut, wir können kaum atmen und ersticken fast vor Heiterkeit. Als wir uns wieder einkriegen,
ist mein Gesicht tränennass.
«Jedenfalls», flüstere ich vorsichtig, um nicht wieder loszulachen, «wer nicht schlecht ist, kann nicht gut sein.»
«Was? Man muss schlecht sein, um gut zu sein? Das ist Quatsch. Das klingt doch total unlogisch.»
«Ja.» Ich kichere leise. «Tut es auch, nicht? Ich wollte sagen, wenn du das Schlechte in dir erkennst und es ablehnst und
versuchst, es nicht zu empfinden, dann ist das gut. Kein Mensch ist durch und durch gut. Glaub ich zumindest. Wahrscheinlich
können wir nicht mehr tun, als zu versuchen, gut zu sein, oder zumindest zu versuchen, nicht schlecht zu sein.»
«Vielleicht hast du recht», sagt er.
«Ja, vielleicht.»
Jetzt schweigen wir. Wir schweigen und liegen reglos da. Ich höre, wie Robbies Atem regelmäßiger wird. Ich schließe die Augen.
«Du bist nett, Katherine.» Robbies Stimme ist sanft und schläfrig.
«Du bist auch nett, Robbie.»
«Wenn ich dich doch bloß früher kennengelernt hätte. Vor Alice», sagt er. Er nimmt im Dunkeln meine Hand und drückt sie ganz
fest. «Dann wären wir … dann hätten wir vielleicht …» Er beendet den Satz nicht.
«Ja», sage ich. «Ich weiß.»
|150| 19
D ie sind toll, nicht?» Philippa starrt nach oben zur Band ihres Bruders auf der Bühne. Sie strahlt vor Stolz und wippt im Takt
der Musik.
«Die sind phantastisch.» Ich nicke und lächle mit so viel Begeisterung, wie ich aufbringen kann. Und es stimmt. Sie sind alle
ausgezeichnete Musiker, die ihr Repertoire gut einstudiert haben und es reibungslos abspulen. Sie spielen eine solide, eingängige
Rockmusik, wie ich sie normalerweise gern live höre, aber ich habe höllische Kopfschmerzen und möchte eigentlich nur nach
Hause und ins Bett. Philippa hatte mich am frühen Abend abgeholt. Sie war so aufgeregt wegen des Konzerts, dass ich sie nicht
enttäuschen wollte. Ich hatte gehofft, meine Kopfschmerzen würden irgendwann besser, aber sie sind nur noch schlimmer geworden.
Und da Philippa einen Tisch ganz nahe vor der Bühne ergattert hat, ist die Musik viel zu laut, hämmernd und quälend.
Philippas Bruder Mick sitzt am Schlagzeug. Er sieht sehr gut aus, auf eine kühle, in sich gekehrte Art. Ich habe ihn den ganzen
Abend nicht ein einziges Mal lächeln sehen. Er ist so blass wie Philippa und hat recht lange schwarze Haare, die ihm über
die Augen hängen. Ab und zu sehe ich, dass er neugierig zu unserem Tisch rüberschielt, bestimmt weil er sich fragt, wer das
unbekannte Mädchen neben Philippa ist.
Und obwohl mir die Musik gefällt, bin ich froh, als die Band eine Pause einlegt. Die plötzliche Stille tut meinem Kopf gut. |151| Mick unterhält sich eine Weile mit den anderen aus der Band und kommt dann zu uns an den Tisch.
«Hey, Pip», sagt er und berührt Philippa
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