Die Wahrheit über Alice
Boden, bis ich sitze, die Beine angezogen, die Stirn auf die Knie gelegt. Ich sitze nur so da, reglos, den Kopf voller
Visionen einer ruinierten Zukunft, bis ich Micks Schlüssel im Schloss höre, seine Schritte, seine Stimme, die meinen Namen
ruft. Und gleich darauf ist er im Bad, hat die Arme um mich gelegt und fragt, ob alles in Ordnung ist.
Ich blicke nicht auf und sage kein Wort. Ich kann jetzt nicht sprechen, kann Mick nicht in die Augen schauen, sondern strecke
die Hand aus und zeige auf das Teststäbchen.
|244| «Was?», fragt er. Ich höre, wie er es vom Boden aufhebt. Und dann ist er wieder bei mir.
«Du bist schwanger?» Er klingt überrascht und schockiert, aber nicht so entsetzt, wie ich es mir ausgemalt hatte. Und überhaupt
nicht wütend.
Ich blicke auf und nicke mechanisch.
«Wow.» Er reibt sich das Gesicht. Ich kann das Knistern der Bartstoppeln unter seinen Fingern hören. «Ich weiß gar nicht,
was ich sagen soll.»
«Nein.»
Er schweigt einen Moment und starrt auf den Test. Dann sieht er mich an. «Also, ähm, ist das denn so schlimm?»
«Ja. Natürlich ist es das. Ich bin schwanger, Mick. Ich bin siebzehn.» Und jetzt richte ich mich auf, kreuze die Beine, sodass
unsere Knie sich berühren, und sehe ihn an. «Ich bin siebzehn, Mick. Siebzehn.»
Er legt eine Hand auf mein Knie und spricht bedächtig und ruhig, als hätte er Angst, mich noch mehr aufzuregen. «Okay. Es
ist ein Schock. Aber es ist kein Weltuntergang. Ich meine, wir können was unternehmen. Es lässt sich was machen. Wenn du willst.»
«Abtreibung. Ich weiß. Sprich das verdammte Wort ruhig aus. Ich bin ja nicht blöd.»
«Okay. Abtreibung. Das wäre eine Möglichkeit. Wenn du willst.»
Ich nicke und zucke die Achseln. Hilflos lasse ich den Blick durch den Raum schweifen, schaue auf die gefliesten Wände, den
Duschvorhang, überallhin, bloß nicht in sein ernstes, liebes Gesicht.
«Aber du musst es nicht tun», sagt er, und er beugt sich vor, sodass ich gezwungen bin, ihn anzusehen. «Du musst nicht abtreiben,
Katherine. Das will ich damit nicht sagen.»
|245| «Was wäre denn die Alternative, Mick? Ein Baby zu kriegen? Mit siebzehn? Soll das ein Witz sein?»
«Du wärst schließlich nicht die Erste, der das passiert. So was ist schon mal vorgekommen, weißt du.»
«Klar weiß ich das, ich bin ja kein Vollidiot. Ich bin schwanger, Mick, nicht plötzlich schwachsinnig.»
Er seufzt. «Hör auf, so wütend zu sein. Ich bin nicht dein Feind.»
«Sorry.» Ich strecke den Arm aus und nehme seine Hand. «Ich bin bloß … Ich begreife nicht, wie uns das passieren konnte.»
«Ich begreif ’s auch nicht so richtig.»
«Scheiße.» Ich drücke seine Hand. Fest. «Mädchen wie ich kriegen kein Baby, Mick. Mädchen wie ich gehen auf die Uni und machen
Karriere. Meine Eltern trifft der Schlag. Sie werden völlig ausflippen.»
«Du könntest immer noch zur Uni. Das ist inzwischen normal. Außerdem wärst du keine alleinerziehende Mutter.» Er drückt ebenfalls
meine Hand, noch fester, und lächelt. «Hör mal, vergiss jetzt mal kurz deine Eltern. Vergiss jetzt mal, was andere Leute denken
könnten. Du kannst so eine Entscheidung nicht von anderen Leuten abhängig machen. Das ist doch bescheuert.»
Und er hat recht. Mein Entsetzen bei dem Gedanken an diese Schwangerschaft beruht zum großen Teil darauf, was andere Leute
denken könnten. Meine Eltern, meine Schulfreunde, meine Lehrer. Ich sehe mich vor meinem geistigen Auge schon mit einem riesigen
Bauch und dann mit einem kreischenden Baby, und ich stelle mir die Blicke, das Getuschel, das Mitleid der Leute vor. Bei der
ganzen vorweggenommenen Ablehnung, die mir durch den Kopf geht, kann ich gar nicht mehr genau sagen, was ich wirklich denke
und was ich wirklich möchte.
|246| «Ich mach uns einen Tee», sagt Mick, und als er aufsteht, zieht er mich auf die Beine. «Leg dich doch nochmal ein Weilchen
hin.»
Ich beherzige seinen Vorschlag, und irgendwie gelingt es mir trotz des ganzen Chaos in meinem Kopf, tief und fest einzuschlafen.
Als ich wach werde, sitzt Mick neben mir auf dem Bett und blättert in einer Musikzeitschrift.
«Hi.»
«Hi.»
«Fühlst du dich besser?» Er legt eine Hand auf meine Stirn, und ich muss lachen.
«Ich hab kein Fieber, du Blödmann.»
«Ich weiß. Ich weiß. Aber hat deine Mum das nicht auch immer bei dir gemacht, wenn du krank warst? Und war das nicht immer
ein gutes Gefühl? So als hättest du was
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