Die Wahrheit über Alice
richtig Ernstes und müsstest die ganze Woche nicht in die Schule oder so?»
«Ich bin aber nicht krank. Ich bin schwanger.»
«Stimmt. Aber du bist traurig.»
Ich setze mich auf. «Bin ich das?»
«Ich weiß nicht. Bist du’s?
«Ich weiß nicht. Bist du’s?»
Er lacht. «Ich bin’s, wenn du’s bist. Ich bin’s nicht, wenn du’s nicht bist.»
«Ich weiß nicht genau. Aus irgendeinem Grund kommt es mir gar nicht mehr so schlimm vor.» Ich zucke die Achseln und lächle
verlegen. «Vielleicht träume ich ja noch oder so.»
Er kneift mir in den Arm. «Spürst du das?»
«Ja.»
«Dann träumst du nicht.»
«Aber im Ernst», sage ich, «was denkst du? Ist es so schlimm? Schwanger zu sein?»
«Mensch, Katherine. Ich weiß es nicht. Ich hab ja schon |247| gesagt, es ist kein Weltuntergang.» Er lächelt – sanft, zaghaft, bedächtig. Er sieht mich an und erforscht mein Gesicht. «Aber
es ist auf jeden Fall eine große Sache.»
«O ja.» Und ich weiß nicht, wieso ein paar Stunden Schlaf meine Sichtweise so drastisch verändern konnten, aber mit einem
Mal ist diese Schwangerschaft gar keine schockierende Katastrophe mehr, sondern etwas, was ich tatsächlich will. Ich lache.
Hoffnungsvolle Erregung steigt wie eine Luftblase in meinem Bauch auf und drängt durch meine Kehle. «Sogar eine Riesensache.»
«Mein Gott. Ein Baby.»
«Ja», sage ich. «Ein Baby.»
«Unser Baby.»
«Ja.»
«Wir können doch unmöglich etwas töten, das wir zusammen gemacht haben. Es ist unser Baby. Unseres. Ein bisschen von dir und
ein bisschen von mir», sagt er.
«Nein.»
«Ich meine, es sei denn, du willst es wirklich. Aber du willst es nicht? Abtreiben? Oder?»
«Nein. Nein, will ich nicht.» Ich erlaube mir zu lächeln. «Ich glaube, ich könnte es wollen. Ich glaube, ich könnte es wirklich
behalten wollen.»
Den Rest des Tages verbringen wir in einem halbhysterischen Schockzustand. Am nächsten Morgen erzählen wir es Philippa, und
sie ist derart aus dem Häuschen, derart begeistert und so voller Ideen und Pläne für die Zukunft, dass wir vor verlegener
Freude lachen müssen. Die Übelkeit plagt mich noch immer, aber jetzt, wo ich die Ursache kenne, komme ich deutlich besser
damit klar. Und da ich nun weiß, dass ich nicht krank bin, sehe ich die übermächtige Erschöpfung, meine Fähigkeit, zu jeder |248| Tages- und Nachtzeit zu schlafen, einfach nur als ein mildes und sogar angenehmes Symptom dafür an, dass mein Körper damit
beschäftigt ist, ein anderes Menschenwesen zu erschaffen.
Wir gehen in die Stadtbibliothek und leihen uns einen Haufen Bücher über Schwangerschaft aus. Die Bücher enthalten Glanzfotos
von Embryos in diversen Entwicklungsstadien. Wir versuchen auszurechnen, wie viele Wochen genau unser Baby alt ist, und suchen
dazu das entsprechende Foto. Es ist ein erstaunlicher Gedanke, dass es vermutlich schon Arme und Beine hat, Augen, einen Mund,
eine Nase. Einen Herzschlag.
Mick meint, wir sollten uns eine gemeinsame Wohnung suchen. «Im Ernst», sagt er, «ich hab mein ganzes Leben von einer Frau
wie dir geträumt. Ich muss nicht noch länger warten, ich muss dich nicht noch besser kennenlernen. Ich will einfach nur mit
dir zusammen sein.» Und als ich mich laut frage, ob wir damit nicht eine zu große Verpflichtung eingehen, ob wir es nicht
überstürzen, lacht er und schüttelt den Kopf. «Wir kriegen ein Baby, Katherine. Eine größere Verpflichtung kann man gar nicht
eingehen. Es ist jetzt zu spät, es langsam angehen zu lassen. Es ist zu spät, alles vernünftig zu planen.» Und dann umarmt
und küsst er mich. «Keine Angst. Es wird alles gut. Keine Angst.»
Mitten in der Nacht flüstert er mir zu: «Lass uns heiraten. Standesamtlich. Gleich morgen.» Ich lache und sage: «Nichts da,
ich bin erst siebzehn, du spinnst wohl», aber insgeheim begeistern mich seine romantischen Ideen. Ich finde es prickelnd,
dass er genauso verliebt ist wie ich. Dass er mich sogar heiraten würde.
Aber eine gemeinsame Wohnung zu mieten, ist gar keine so verrückte Idee. Es ist sogar sinnvoll. Mick könnte unmöglich auch
noch bei Vivien einziehen, und seine jetzige Wohnung ist viel zu klein. Und wir könnten seinem Mitbewohner wohl kaum ein Baby
zumuten.
|249| Am nächsten Morgen werde ich früh wach, noch vor Mick. Ich stehe auf und koche eine Kanne Tee. Dann gehe ich mit dem Tee und
der Zeitung vom Vortag zurück in Micks Zimmer, krieche wieder ins Bett,
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