Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Platz mit einem Brunnen in Gestalt eines Bronzelöwen ein livrierter Chauffeur gerade die Rückbank einer Luxuslimousine auf Hochglanz brachte.
Ich ließ meinen Wagen mitten auf dem Platz stehen, grüßte den Fahrer, als wäre er ein guter Bekannter, und ging voller Tatendrang zum Hauptportal, um zu klingeln. Eine Hausangestellte öffnete mir. Ich nannte meinen Namen und verlangte Mr Stern zu sehen.
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein.«
»Dann ist das leider nicht möglich. Mr Stern empfängt keine unangemeldeten Besucher. Wer hat Sie durchgelassen?«
»Das Tor stand offen. Wie bekommt man einen Termin bei Ihrem Chef?«
»Mr Stern macht seine Termine selber.«
»Lassen Sie mich ein paar Minuten zu ihm. Es dauert nicht lange.«
»Ausgeschlossen.«
»Sagen Sie ihm, ich bin wegen Nola Kellergan hier. Ich denke, der Name sagt ihm etwas.«
Die Angestellte ließ mich draußen warten, war aber gleich darauf zurück. »Mr Stern empfängt Sie«, ließ sie mich wissen. »Sie müssen wirklich wichtig sein.« Sie führte mich im Erdgeschoss zu einem holzgetäfelten und mit Wandbehängen geschmückten Arbeitszimmer, in dem ein sehr eleganter Mann in einem Sessel saß und mich mit gestrenger Miene taxierte. Es war Elijah Stern.
»Ich heiße Marcus Goldman«, stellte ich mich vor. »Danke, dass Sie mich empfangen.«
»Goldman? Der Schriftsteller?«
»Ja.«
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Überraschungsbesuchs?«
»Ich ermittle im Fall Kellergan.«
»Mir war nicht bekannt, dass es einen Fall Kellergan gibt.«
»Sagen wir, es gibt ein paar ungeklärte Fragen.«
»Ist das nicht Aufgabe der Polizei?«
»Ich bin ein Freund von Harry Quebert.«
»Und inwiefern habe ich damit zu tun?«
»Man hat mir erzählt, dass Sie früher in Aurora gewohnt haben und das Haus, in dem Harry Quebert heute lebt, vorher Ihnen gehört hat. Ich wollte mich vergewissern, ob das stimmt.«
Er bot mir einen Platz an. »Diese Auskunft ist korrekt«, sagte er. »Ich habe es ihm 1976 verkauft, kurz nach seinem großen Erfolg.«
»Dann kennen Sie Harry Quebert also?«
»Kaum. Ich bin ihm, als er nach Aurora gezogen war, ein paarmal begegnet, aber wir haben keinen Kontakt gehalten.«
»Darf ich Sie fragen, was Sie mit Aurora verbindet?«
Er sah mich leicht beunruhigt an. »Ist das ein Verhör, Mr Goldman?«
»Keineswegs. Ich frage mich nur, warum jemand wie Sie ein Haus in einer Kleinstadt wie Aurora besitzt.«
»Jemand wie ich? Sie meinen, jemand, der so reich ist wie ich?«
»Ja. Im Vergleich zu anderen Küstenstädten ist Aurora nicht gerade aufregend.«
»Mein Vater hat das Haus bauen lassen. Er wollte ein Haus am Meer, nicht zu weit entfernt von Concord. Davon abgesehen, ist Aurora eine hübsche Stadt. Und sie liegt zwischen Concord und Boston. Als Kind habe ich dort viele schöne Sommer verbracht.«
»Warum haben Sie das Haus verkauft?«
»Als mein Vater starb, habe ich ein beträchtliches Vermögen geerbt. Ich hatte keine Zeit mehr, das Haus in Goose Cove zu nutzen. Also habe ich beschlossen, es zu vermieten. Das habe ich etwa zehn Jahre lang getan, aber dann sind die Mieter ausgeblieben, und das Haus stand allzu oft leer. Als Harry mir vorgeschlagen hat, es zu kaufen, habe ich sofort eingewilligt. Ich habe es ihm übrigens zu einem guten Preis überlassen, denn es ging mir nicht ums Geld. Ich war glücklich, dass das Haus wieder mit Leben erfüllt war. Irgendwie habe ich Aurora immer gemocht. Als ich geschäftlich noch viel in Boston zu tun hatte, habe ich dort oft haltgemacht. Übrigens habe ich lange den dortigen Sommerball finanziert. Und das Clark’s macht die besten Hamburger weit und breit, zumindest war es damals so.«
»Und Nola Kellergan? Haben Sie sie gekannt?«
»Vage. Sagen wir so: Jeder in diesem Staat hat von ihr gehört, als sie verschwunden ist. Eine entsetzliche Geschichte! Und dass man jetzt ihre Leiche in Goose Cove gefunden hat! Und dann dieses Buch, das Quebert für sie geschrieben hat … Das ist wirklich abscheulich. Ob ich es bereue, ihm Goose Cove verkauft zu haben? Ja, natürlich. Aber wie hätte ich das ahnen sollen?«
»Rein rechtlich gesehen, gehörte Ihnen Goose Cove zum Zeitpunkt von Nolas Verschwinden noch.«
»Was wollen Sie damit andeuten? Dass ich etwas mit ihrem Tod zu tun habe? Wissen Sie, seit zehn Tagen frage ich mich immer wieder, ob mir Harry Quebert das Haus womöglich nur abgekauft hat, um sicherzugehen, dass niemand je die im Garten vergrabene Leiche findet.«
Stern
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