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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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eindeutige Hinweise.«
    Auf der Fahrt vom Polizeihauptquartier zum Gefängnis hörte ich im Radio, dass Harrys Bücher in den meisten Bundesstaaten allesamt von den Lehrplänen gestrichen werden sollten. Der absolute Tiefpunkt war erreicht: In kaum zwei Wochen hatte Harry alles verloren. Er stand jetzt als Autor auf dem Index, war als Professor entlassen worden und wurde von der ganzen Nation gehasst. Egal, wie die Ermittlungen und der Prozess ausgehen würden: Sein Name war für immer besudelt. Künftig würde man nicht mehr über sein Werk sprechen können, ohne seine moralisch zweifelhafte Sommerliebe mit Nola zu erwähnen, und aus Angst vor einem Skandal würde bei kulturellen Veranstaltungen sicherlich niemand mehr das Wagnis eingehen, Harry Quebert als Vortragenden einzuladen. Dies kam dem intellektuellen elektrischen Stuhl gleich. Das Schlimmste war, dass Harry sich der Situation voll und ganz bewusst war. Als ich den Besuchsraum betrat, lautete seine erste Frage an mich: »Was ist, wenn sie mich töten?«
    »Niemand wird Sie töten, Harry.«
    »Bin ich denn nicht schon tot?«
    »Nein, Sie sind nicht tot. Sie sind der große Harry Quebert! Von der Wichtigkeit, fallen zu können – erinnern Sie sich? Das Entscheidende ist nicht der Sturz, denn der ist unvermeidlich. Entscheidend ist, dass man wieder aufsteht. Und wir werden wieder aufstehen.«
    »Sie sind ein feiner Kerl, Marcus, aber die Scheuklappen der Freundschaft versperren Ihnen den Blick auf die Realität. Im Grunde geht es nicht so sehr darum, ob ich Nola oder Deborah Cooper oder gar Präsident Kennedy getötet habe. Das Problem ist, dass ich eine Beziehung zu diesem Mädchen hatte, und das ist unverzeihlich. Und dann dieses Buch! Was hat mich nur geritten, dieses Buch zu schreiben?«
    Ich wiederholte: »Wir werden uns wieder aufrappeln, Sie werden sehen. Erinnern Sie sich an die Prügel, die ich damals in Lowell in dieser zu einem illegalen Boxclub umfunktionierten Lagerhalle eingesteckt habe? Ich habe mich wieder aufgerappelt und bestens davon erholt.«
    Er rang sich zu einem Lächeln durch und fragte: »Was ist mit Ihnen? Haben Sie neue Drohungen erhalten?«
    »Sagen wir es so: Jedes Mal, wenn ich nach Goose Cove zurückfahre, frage ich mich, was mich dort wohl erwartet.«
    »Finden Sie heraus, wer dahintersteckt, Marcus. Finden Sie den Kerl und verpassen Sie ihm eine gehörige Abreibung. Ich ertrage die Vorstellung nicht, dass Ihnen jemand droht.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Und Ihre Recherchen?«
    »Kommen voran … Harry, ich habe angefangen, ein Buch zu schreiben.«
    »Das ist ja phantastisch!«
    »Es ist ein Buch über Sie. Ich erzähle darin auch von uns und Burrows. Und von Ihrer Geschichte mit Nola. Es ist ein Buch über die Liebe. Ich glaube nämlich an Ihre Liebesgeschichte.«
    »Das ist eine schöne Würdigung.«
    »Sie geben mir also Ihren Segen?«
    »Selbstverständlich, Marcus. Wissen Sie, Sie sind vermutlich einer meiner engsten Freunde gewesen. Und Sie sind ein wunderbarer Schriftsteller. Es schmeichelt mir sehr, dass es in Ihrem nächsten Buch um mich geht.«
    »Warum sprechen Sie in der Vergangenheit? Warum sagen Sie, ich sei einer Ihrer engsten Freunde gewesen ? Das bin ich doch immer noch, oder etwa nicht?«
    Sein Blick wurde traurig. »Das habe ich nur so dahingesagt.«
    Ich fasste ihn an den Schultern. »Wir werden immer Freunde sein, Harry! Ich werde Sie nie hängen lassen. Dieses Buch ist der Beweis für meine unverbrüchliche Freundschaft.«
    »Danke, Marcus, ich bin gerührt. Aber Freundschaft darf nicht der Auslöser für dieses Buch sein.«
    »Warum nicht?«
    »Erinnern Sie sich noch an unsere Unterhaltung an dem Tag, an dem Sie in Burrows Ihr Diplom bekommen haben?«
    »Ja, wir haben einen langen Spaziergang über den Campus gemacht und sind zum Boxraum gegangen. Sie haben mich gefragt, was ich jetzt vorhabe, und ich habe geantwortet, dass ich ein Buch schreiben will. Daraufhin haben Sie mich gefragt, warum ich schreibe. Ich habe gesagt, dass ich schreibe, weil es mir Spaß macht, und Sie haben mir geantwortet …«
    »Genau, was habe ich Ihnen geantwortet?«
    »Dass das Leben nur wenig Sinn hat und das Schreiben dem Leben einen Sinn gibt.«
    »So ist es, Marcus. Und genau das ist der Fehler, den Sie vor ein paar Monaten begangen haben, als Barnaski ein neues Manuskript von Ihnen wollte. Sie haben sich ans Schreiben gemacht, weil Sie ein Buch schreiben mussten, und nicht, um Ihrem Leben einen Sinn zu geben.

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