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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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wieder darum bat, würde er die verbotene Reise aufschieben. Er würde sie bis in alle Ewigkeit aufschieben.
    Tags darauf ging er zum ersten Mal seit Langem wieder ins Clark’s. Wie fast immer bediente Jenny. Als sie Harry hereinkommen sah, leuchteten ihre Augen auf: Er war wieder da. Lag es am Ball? War er etwa eifersüchtig geworden, als er sie mit Travis gesehen hatte? Wollte er sie nach Martha’s Vineyard mitnehmen? Wenn er ohne sie fuhr, bedeutete das, dass er sie nicht liebte. Die Sache beschäftigte sie so sehr, dass sie ihn danach fragte, noch bevor sie seine Bestellung aufnahm.
    »Wen nimmst du nach Martha’s Vineyard mit, Harry?«
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Vielleicht niemanden. Vielleicht nutze ich die Zeit, um mein Buch voranzutreiben.«
    Sie zog eine Schnute. »Eine so schöne Reise? Allein? Das wäre Verschwendung.«
    Insgeheim hoffte sie, er würde erwidern: »Du hast recht, mein Liebling. Wir fahren zusammen und küssen uns im Sonnenuntergang.« Aber er sagte nur: »Einen Kaffee, bitte.« Und Jenny, ganz Dienerin, tat, wie ihr geheißen.
    In diesem Augenblick tauchte Tamara Quinn aus ihrem Büro im Hinterzimmer auf, wo sie die Buchhaltung machte. Als sie Harry an seinem Stammtisch sitzen sah, stürzte sie auf ihn zu und verkündete grußlos, dafür voller Wut und Verbitterung: »Ich mache gerade die Abrechnung. Sie haben hier keinen Kredit mehr, Mr Quebert.«
    »Verstehe«, antwortete Harry, der eine Szene vermeiden wollte. »Es tut mir leid wegen Ihrer Einladung am vorigen Sonntag. Ich …«
    »Ihre Entschuldigungen interessieren mich nicht. Und Ihre Blumen habe ich sofort in den Mülleimer geworfen. Ich bitte Sie, Ihre Schulden bis Ende der Woche zu begleichen.«
    »Selbstverständlich. Geben Sie mir die Rechnung, ich werde sie unverzüglich bezahlen.«
    Sie brachte ihm eine detaillierte Rechnung, und als er sie sah, blieb ihm die Luft weg: Er stand mit über fünfhundert Dollar in der Kreide. Er hatte das Geld ausgegeben, ohne mitzurechnen. Fünfhundert Dollar für Speisen und Getränke! Fünfhundert zum Fenster hinausgeworfene Dollar, nur um in Nolas Nähe zu sein! Zu dieser Rechnung gesellte sich am nächsten Morgen ein Schreiben der Vermietungsagentur. Die Hälfte seines Aufenthalts in Goose Cove hatte er bereits bezahlt, also bis Ende Juli. Der Brief informierte ihn darüber, dass er noch tausend Dollar zu zahlen habe, um das Haus bis September nutzen zu können, und dieser Betrag wie vereinbart von seinem Bankkonto eingezogen würde. Aber er hatte die tausend Dollar nicht. Er hatte so gut wie kein Geld mehr. Sobald er die Schulden im Clark’s bezahlt hatte, war er pleite. Er konnte die Miete für dieses Haus nicht weiter bezahlen. Er konnte nicht länger hierbleiben. Was sollte er tun? Elijah Stern anrufen und ihm die Situation erklären? Doch wozu? Er hatte den großen Roman, den er sich erhofft hatte, nicht geschrieben. Er war nichts weiter als ein Hochstapler.
    Nach längerem Nachdenken rief er im Hotel auf Martha’s Vineyard an. Er wusste jetzt, was er tun würde: Er würde das Haus aufgeben und mit diesem Versteckspiel endgültig Schluss machen. Er würde mit Nola eine Woche verreisen, um ein letztes Mal ihre Liebe leben zu können, und danach verschwinden. Die Hotelrezeption teilte ihm mit, dass in der Woche vom 28. Juli bis zum 3. August noch ein Zimmer frei war. Genau das musste er tun: Nola ein letztes Mal lieben und diese Stadt dann für immer verlassen.
    Kaum war die Reservierung perfekt, rief er die Vermietungsagentur an und erklärte, dass er den Brief erhalten, aber leider nicht mehr das Geld habe, um die Miete für Goose Cove zu bezahlen. Er bat daher um Auflösung des Mietvertrags zum 1. August und konnte den Angestellten mit praktischen Argumenten überreden, ihm das Haus bis zum Montag, den 4. August, zu überlassen, indem er ihm zusicherte, die Schlüssel an diesem Tag auf der Rückfahrt nach New York direkt in der Filiale in Boston vorbeizubringen. Er musste am Telefon ein Schluchzen unterdrücken: So also endete das Abenteuer des ach so großen Harry Quebert, der es nicht fertigbrachte, auch nur drei Zeilen des grandiosen Meisterwerks zu schreiben, das ihm vorschwebte. Kurz bevor er zusammenbrach, sagte er noch: »Perfekt. Ich gebe die Schlüssel von Goose Cove also am Montag, den 4. August, auf der Rückfahrt nach New York in Ihrer Agentur ab.« Kaum hatte er aufgelegt, fuhr er zusammen, denn er hörte hinter sich eine erstickte Stimme: »Sie gehen fort,

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