Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
dass es nicht infrage kam, dass jemand anderer als ich dieses Buch schrieb, war er ausfallend geworden. »Goldman, wenn ich mich recht erinnere, habe ich Ihnen für dieses verdammte Buch eine Million Dollar überwiesen, und deshalb erwarte ich, dass Sie sich ein wenig kooperativ zeigen. Wenn ich denke, dass Sie meine Autoren brauchen, dann werden wir sie auch einsetzen, verfluchte Scheiße!«
»Immer mit der Ruhe, Roy! Sie kriegen das Buch rechtzeitig, aber nur, wenn Sie aufhören, mich mit Ihren ständigen Anrufen von der Arbeit abzuhalten!«
Jetzt war Barnaski regelrecht ordinär geworden: »Herrgott noch mal, Goldman, hoffentlich ist Ihnen klar, dass ich für dieses Buch meinen Arsch riskiere! Jawohl, meinen Arsch! Ich habe eine Menge Kohle investiert und die Glaubwürdigkeit eines der größten Verlage dieses Landes aufs Spiel gesetzt. Wenn die Sache schiefläuft, wenn es wegen einer Ihrer Launen oder was für einer Scheiße auch immer kein Buch geben und ich untergehen sollte, dann nehme ich Sie mit, darauf können Sie sich verlassen! Und zwar nach ganz unten!«
»Schon gut, Roy. Ich schreibe es mir hinter die Ohren.«
Von seinen menschlichen Schwächen abgesehen, besaß Barnaski ein angeborenes Marketingtalent: Mein Buch war schon jetzt das Buch des Jahres, obwohl die Werbung mit großformatigen Plakaten auf den Fassaden von New York gerade erst begonnen hatte. Kurz nach dem Brand in Goose Cove hatte er eine aufsehenerregende Erklärung abgegeben. Er hatte gesagt: »Irgendwo in Amerika versteckt sich ein Schriftsteller, der die Wahrheit über die Geschehnisse von 1975 in Aurora ans Licht bringen will. Und weil die Wahrheit unbequem ist, gibt es da draußen jemanden, der ihn um jeden Preis zum Schweigen bringen will.« Am nächsten Tag hatte die New York Times einen Artikel Wer will Marcus Goldman ans Leder? betitelt.
Meine Mutter hatte das natürlich gelesen und mich sofort angerufen. »Wo um Himmels willen steckst du, Markie?«
»In Concord, im Regent’s. Suite 208.«
»Sei bloß still!«, hatte sie geschrien. »Ich will es gar nicht wissen!«
»Aber, Mama, du hast mich doch gerade danach gefr–«
»Wenn du es mir sagst, verplappere ich mich bestimmt beim Metzger, und der sagt es dann seinem Gehilfen, und der erzählt es seiner Mutter, und die ist keine andere als die Cousine des Hausmeisters der Felton Highschool und bindet es ihm bestimmt auf die Nase, und der Halunke erzählt es dann brühwarm dem Schulleiter, und der redet im Lehrerzimmer darüber, und bald weiß ganz Montclair, dass mein Sohn in Concord im Regent’s in der Suite 208 wohnt, und dann kommt dieser Kerl, der dir ans Leder will, und schneidet dir im Schlaf die Kehle durch … Warum eigentlich eine Suite? Hast du etwa eine Freundin? Wirst du heiraten?«
Sie hatte meinen Vater gerufen. Ich hatte sie schreien hören: »Nelson, komm ans Telefon, und hör dir das an! Markie wird heiraten!«
»Mama, ich werde nicht heiraten. Ich bin ganz allein in meiner Suite.«
Gahalowood, der bei mir im Zimmer war und sich gerade ein reichhaltiges Frühstück servieren ließ, hatte nichts Besseres zu tun, als laut zu rufen: »He! Ich bin schließlich hier!«
»Wer war das?«, fragte meine Mutter sofort.
»Niemand.«
»Von wegen niemand! Ich habe eine Männerstimme gehört. Marcus, ich werde dir jetzt eine äußerst wichtige medizinische Frage stellen, und du musst der Person, die dich neun Monate lang in ihrem Bauch ausgetragen hat, eine ehrliche Antwort geben: Hältst du in deinem Zimmer heimlich einen homosexuellen Mann versteckt?«
»Nein, Mama. Sergeant Gahalowood ist hier, er ist Polizist. Er ermittelt zusammen mit mir. Außerdem legt er es darauf an, meine Rechnung für den Zimmerservice in astronomische Höhen zu treiben.«
»Ist er nackt?«
»Was? Natürlich nicht! Er ist Polizist, Mama! Wir arbeiten zusammen.«
»So, so, ein Polizist … Weißt du, ich lebe nicht hinter dem Mond. Da gibt es doch diese Band, diese Kerle, die zusammen singen: ein Motorradfahrer ganz in Leder, ein Klempner, ein Indianer und ein Polizist …«
»Mama, das hier ist ein echter Polizeibeamter.«
»Markie, im Namen deiner Ahnen, die vor den Pogromen fliehen mussten: Wenn du deine Mama liebst, wirf diesen nackten Mann aus dem Zimmer.«
»Ich werde niemanden hinauswerfen, Mama.«
»Ach, Markie, warum rufst du mich an, wenn du mir nur Kummer machen willst?«
» Du hast mich angerufen, Mama.«
»Weil dein Vater und ich Angst vor diesem verrückten
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