Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
Zu Ehren von Marcus P. Goldman, genannt Der Fabelhafte , der von 1994 bis 1998 Schüler der Felton Highschool war zu enthüllen . Darin waren ein Exemplar meines Romans, meine alten Schulzeugnisse, ein paar Fotos sowie mein Hockey- und mein Lauftrikot ausgestellt.
Als ich diesen Artikel nun erneut las, musste ich schmunzeln. Meine Zeit in Felton High, einer kleinen, sehr beschaulichen, im Norden von Montclair gelegenen und von braven Teenagern besuchten Einrichtung, hatte auf meine Mitschüler und Lehrer so großen Eindruck gemacht, dass sie mir den Spitznamen Der Fabelhafte verliehen hatten. Was sie an diesem Dezembertag des Jahres 2006, als sie meine Ehrenvitrine beklatschten, alle nicht ahnten, war, dass ich meinen Status als unangefochtener Star von Felton in den vier schönen langen Jahren einer Reihe von Mogeleien und anfangs zufälligen, später geschickt eingefädelten Umständen verdankte.
Das Heldenepos des Fabelhaften begann mit meinem ersten Schuljahr an der Highschool, als ich eine Sportart wählen musste. Ich wollte Fußball oder Basketball spielen, doch in den beiden Mannschaften gab es nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen, und zu meinem Pech erschien ich am Tag der Einschreibung mit großer Verspätung im Anmeldebüro. »Ich habe geschlossen«, beschied mich die dicke Frau, die dafür zuständig war. »Komm nächstes Jahr wieder.« – »Bitte, Madam«, bekniete ich sie, »ich muss unbedingt in einer Sportart angemeldet sein, sonst falle ich durch.« – »Dein Name?«, fragte sie seufzend. – »Goldman. Marcus Goldman, Madam.« – »Welcher Sport?« – »Fußball. Oder Basketball.« – »Beides voll. Ich habe noch Tanzakrobatik und Hockey.«
Hockey oder Tanzakrobatik – also Pest oder Cholera. Mir war klar, dass mir Tanzakrobatik den Spott meiner Mitschüler eintragen würde, also entschied ich mich für Hockey. Allerdings hatte Felton schon seit zwei Jahrzehnten keine gute Hockeymannschaft mehr gehabt, was zur Folge hatte, dass keiner mitspielen wollte: Die Mannschaft setzte sich also aus denen zusammen, die bei den anderen Sportarten rausgeflogen, und jenen, die wie ich zu spät zur Einschreibung gekommen waren. So landete ich in einer zahlenmäßig dezimierten, nicht sehr wackeren, tollpatschigen Mannschaft, die mir jedoch zu Ruhm verhelfen sollte. In der Hoffnung, in der laufenden Saison doch noch von der Fußballmannschaft abgefischt zu werden, wollte ich sportliche Großtaten vollbringen, um auf mich aufmerksam zu machen: Ich trainierte mit ungeahnter Motivation, und schon nach zwei Wochen sah unser Trainer in mir den Star, auf den er immer gewartet hatte. Ich wurde auf der Stelle zum Mannschaftskapitän befördert und musste nicht einmal großartige Anstrengungen unternehmen, um schon bald als bester Hockeyspieler in der Geschichte der Highschool zu gelten. Mühelos knackte ich den – absolut erbärmlichen – Torrekord der letzten zwanzig Jahre und wurde für diese Spitzenleistung mit einem Eintrag in der Ehrenliste der Highschool belohnt, was zuvor im ersten Schuljahr noch keiner geschafft hatte. Das verfehlte nicht seine Wirkung auf meine Mitschüler und Lehrer. Diese Erfahrung lehrte mich, dass es ausreicht, den anderen etwas vorzugaukeln, um als fabelhaft zu gelten. Schließlich ist alles nur eine Frage des Scheins.
Rasch fand ich Geschmack an dem Spielchen. Natürlich war es für mich jetzt undenkbar, aus der Hockeymannschaft auszutreten, denn mein erklärtes Ziel war es nun, unter allen Umständen der Beste zu sein und um jeden Preis im Rampenlicht zu stehen. Dann kam der Wettbewerb der wissenschaftlichen Einzelprojekte, den eine hochbegabte dumme Ziege namens Sally gewann und bei dem ich lediglich auf Platz sechzehn landete. Bei der Preisverleihung in der Aula der Highschool riss ich das Wort an mich und erfand Geschichten von ganzen Wochenenden mit ehrenamtlicher Tätigkeit bei geistig Behinderten, die das Vorankommen meines Projekts erheblich beeinträchtigt hätten, um mit feuchten Augen zu schließen: »Was bedeutet schon ein erster Preis, wenn ich meinen Freunden, den mongoloiden Kindern, ein Fünkchen Glück schenken kann.« Natürlich waren alle aus dem Häuschen. Ich hatte es nicht nur geschafft, Sally die Show zu stehlen, sondern obendrein lehnte Sally, die einen schwerbehinderten Bruder hatte – was ich nicht wusste –, ihren Preis ab und forderte, dass man ihn mir gab. Dieser Begebenheit verdankte ich es, dass mein Name nunmehr in drei Kategorien, nämlich
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