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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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Fünfundzwanzig Demütigungen! Ich würde, besiegt und entehrt, als Letzter ins Ziel kommen. Vielleicht würde mich der Erste sogar noch einmal überrunden. Ich musste den Fabelhaften retten, koste es, was es wolle. Also nahm ich all meine Kräfte zusammen, legte einen ebenso unerwarteten wie wahnwitzigen Sprint hin und schob mich unter den Hurrarufen meiner Fangemeinde an die Spitze vor. In diesem Augenblick setzte ich den hinterhältigen Plan um, den ich mir ausgedacht hatte: Als ich vorübergehend in Führung lag und spürte, dass ich an meine Grenzen stieß, tat ich, als würde ich über eine Unebenheit stolpern, und ließ mich fallen – mit aufsehenerregenden Purzelbäumen, Geheul, Geschrei der Menge und am Ende einem gebrochenen Bein, was natürlich nicht eingeplant gewesen war, aber um den Preis einer Operation und eines zweiwöchigen Krankenhausaufenthalts meinen großen Namen rettete. Die Schülerzeitung schrieb eine Woche nach dem Vorfall:
    Bei diesem mustergültigen Rennen fiel Marcus Goldman alias Der Fabelhafte , der seinen Gegnern um Längen voraus und auf dem Weg zu einem vernichtenden Sieg war, dem schlechten Zustand der Bahn zum Opfer: Er stürzte schwer und zog sich einen Beinbruch zu.
    Das war das Ende meiner Karriere als Läufer und als Sportler überhaupt. Aufgrund der schweren Verletzung wurde ich bis zum Ende meiner Schulzeit vom Sport freigestellt. Meine Leistung und mein Opfer brachten mir eine Plakette mit eingraviertem Namen in der Ehrenvitrine ein, in der schon mein Hockeytrikot ausgestellt war. Der Schulleiter verfluchte den schlechten Zustand der Sportanlagen von Felton und ließ im Stadion für teures Geld den kompletten Bahnbelag erneuern. Die Arbeiten finanzierte er mit Mitteln, die er vom Ausflugsbudget der Highschool abzweigte, was die Schüler aller Klassen im Folgejahr um sämtliche Unternehmungen in dieser Richtung brachte.
    Nach meinem Abschluss an der Highschool, in der ich mit guten Noten, Ehrenurkunden und Empfehlungsschreiben überhäuft worden war, stand ich vor der schicksalhaften Wahl der Hochschule, und als ich eines Nachmittags in meinem Zimmer auf dem Bett lag, vor mir drei Zusagebriefe – einer von Harvard, der zweite von Yale und der dritte von Burrows, einem kleinen, unbekannten College in Massachusetts –, zögerte ich nicht einen Moment: Ich wollte nach Burrows. Wenn ich auf eine der großen Universitäten ging, setzte ich meinen Beinamen aufs Spiel . Harvard oder Yale hieße, die Latte zu hoch zu legen. Ich hatte keine Lust, mich mit den unersättlichen Eliten zu messen, die aus allen Landesteilen herbeiströmten und sich dort auf den Ehrenlisten breitmachten. Die Ehrenlisten von Burrows erschienen mir weit zugänglicher. Der Fabelhafte wollte nicht das Gesicht verlieren. Er wollte Der Fabelhafte bleiben. Burrows war perfekt: ein bescheidenes College, an dem ich garantiert glänzen konnte. Es war nicht weiter schwer, meine Eltern davon zu überzeugen, dass die Literaturabteilung von Burrows der von Harvard und Yale in jeder Hinsicht überlegen war, und so zog ich im Herbst 1998 aus der kleinen Industriestadt Montclair nach Massachusetts, wo ich Harry Quebert begegnen sollte.
    Am frühen Abend saß ich noch immer auf der Terrasse, blätterte in den Fotoalben und hing meinen Erinnerungen nach –, da rief mich Douglas entsetzt an: »Herrgott noch mal, Marcus! Ich kann nicht glauben, dass du nach New Hampshire gefahren bist, ohne mir Bescheid zu sagen! Ich habe Anrufe von Journalisten gekriegt, die mich gefragt haben, was du dort treibst, und ich war nicht mal auf dem Laufenden. Ich musste erst den Fernseher einschalten, um es zu erfahren. Komm nach New York zurück. Komm zurück, solange es noch geht. Diese Sache wird dir total über den Kopf wachsen! Verschwinde gleich morgen früh aus diesem Kaff, und komm zurück nach New York. Quebert hat einen erstklassigen Anwalt. Lass ihn seine Arbeit machen und konzentriere du dich auf dein Buch. Du musst Barnaski das Manuskript in vierzehn Tagen geben.«
    »Harry braucht jetzt einen Freund«, erwiderte ich.
    Kurzes Schweigen, dann sagte Douglas leise, als begreife er erst jetzt, was ihm seit Monaten entgangen war: »Du hast kein Buch, richtig? Barnaskis Frist läuft in zwei Wochen ab, und du hast es nicht geschafft, dieses beschissene Buch zu schreiben! Ist es das, Marc? Hilfst du wirklich einem Freund, oder fliehst du aus New York?«
    »Halt die Klappe, Doug.«
    Wieder schwieg er eine Weile. »Marc, sag mir, dass du

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