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Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
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veröffentlicht. Warum hat er es wohl ganz hinten in einer Schublade liegen lassen?«
    Gahalowood zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat er nicht gewagt, es zu veröffentlichen, weil er darin über ein verschwundenes Mädchen schreibt«, überlegte er.
    »Vielleicht. Aber in Der Ursprung des Übels schreibt er auch über Nola, und das hat ihn nicht davon abgehalten, das Buch gleich mehreren Verlagen anzubieten. Warum hat er mir geschrieben: Dieses Buch ist die Wahrheit? Die Wahrheit worüber? Über Nola? Was will er damit sagen? Dass Nola nie gestorben ist, sondern in einem Blockhaus lebt?«
    »Unsinn«, widersprach Gahalowood. »Das Untersuchungsergebnis war eindeutig: Das gefundene Skelett ist ihres.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt sind wir nicht viel weiter als vorher, Schriftsteller.«
    Am nächsten Vormittag rief mich Denise an, um mir mitzuteilen, dass bei Schmid & Hanson eine Frau angerufen habe.
    »Sie wollte Sie sprechen«, erklärte Denise. »Sie hat gesagt, es ist wichtig.«
    »Wichtig? Worum ging es?«
    »Sie hat gesagt, dass sie mit Nola Kellergan in Aurora zur Schule gegangen ist. Und dass Nola ihr von ihrer Mutter erzählt hat.«

    Cambridge, Massachusetts, Samstag, 25. Oktober 2008
    Sie war unter dem Namen Stefanie Hendorf im Jahrbuch von 1975 der Highschool von Aurora zu finden, zwei Fotos vor Nola, und zählte zu denen, die Erne Pinkas nicht hatte ausfindig machen können. Da sie einen gebürtigen Polen geheiratet hatte, hieß sie nun Stefanie Larjinjiak und lebte in einem stattlichen Haus in Cambridge, einem schicken Vorort von Boston. Dort trafen Gahalowood und ich uns mit ihr. Stefanie Hendorf war achtundvierzig, genauso alt, wie Nola jetzt wäre. Sie war eine schöne Frau, zum zweiten Mal verheiratet, Mutter dreier Kinder, hatte in Harvard Kunstgeschichte unterrichtet und war jetzt Inhaberin einer Galerie. Sie war in Aurora aufgewachsen und mit Nola, Nancy Hattaway und ein paar anderen, die ich im Rahmen meiner Nachforschungen aufgesucht hatte, in eine Klasse gegangen. Während ich sie über ihre Vergangenheit sprechen hörte, ging mir durch den Kopf, dass diese Frau eine Überlebende war. Da war die mit fünfzehn Jahren ermordete Nola, und da war Stefanie, die hatte leben, eine Galerie aufmachen und sogar zweimal heiraten dürfen.
    Auf dem Couchtisch im Wohnzimmer hatte sie ein paar Jugendfotos bereitgelegt.
    »Ich habe diesen Fall von Anfang an verfolgt«, erklärte sie uns. »Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem Nola verschwunden ist. Ich erinnere mich an alles, wie wahrscheinlich alle Frauen, die damals ein Mädchen in Aurora waren. Als man ihre Leiche gefunden hat und Harry Quebert verhaftet wurde, war ich natürlich sehr betroffen. Was für eine Geschichte! Mir hat Ihr Buch sehr gefallen, Mr Goldman. Sie beschreiben Nola darin wirklich gut. Dank Ihnen ist sie für mich wieder ein bisschen lebendig geworden. Stimmt es, dass es verfilmt werden soll?«
    »Warner Bros. will die Rechte kaufen«, antwortete ich.
    Sie zeigte uns die Fotos von einer Geburtstagsfeier im Jahr 1973, an der auch Nola teilgenommen hatte. Dann fuhr sie fort: »Nola und ich waren eng befreundet. Sie war ein reizendes Mädchen. Alle in Aurora haben sie gemocht. Wahrscheinlich ist den Menschen das Bild zu Herzen gegangen, das sie und ihr Vater abgaben: der liebenswerte, verwitwete Pfarrer und seine aufopferungsvolle Tochter, die beide immerzu lächelten und sich nie beklagten. Wenn ich launisch war, hat meine Mutter manchmal zu mir gesagt: ›Nimm dir ein Beispiel an der kleinen Nola! Die Arme! Der Herrgott hat ihr die Mutter genommen, und trotzdem ist sie immer freundlich und dankbar.‹«
    »Warum zum Teufel habe ich nicht kapiert, dass ihre Mutter tot war?«, sagte ich. »Sie sagen, dass Ihnen das Buch gefallen hat? Sie haben sich bestimmt gefragt, was ich da für einen Schund zusammengeschrieben habe!«
    »Ganz und gar nicht. Im Gegenteil! Ich bin davon ausgegangen, dass Sie das mit Absicht geschrieben haben. Ich habe das mit Nola nämlich auch erlebt.«
    »Was meinen Sie mit das ?«
    »Eines Tages ist etwas sehr Merkwürdiges passiert. Nach diesem Vorfall bin ich auf Abstand zu Nola gegangen.«

    März 1973
    Den Hendorfs gehörte der Gemischtwarenladen auf der Hauptstraße. Manchmal brachte Stefanie Nola nach der Schule mit, und sie stopften sich im Lager mit Süßigkeiten voll, so auch an jenem Nachmittag: Hinter Mehlsäcken versteckt, futterten sie Fruchtgummis, bis sie Bauchweh bekamen, und dabei kicherten sie

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