Die Wahrheit über Marie - Roman
Pferdetransporters ebenso wie die Zöllner, alle, die nicht bei dem Verletzten zurückgeblieben waren, um Erste Hilfe zu leisten, saßen zwischen den Koffern und Taschen von Marie eingepfercht in den drei Sitzreihen des winzigen Minibusses der Marke Subaru.
Zahir heißt auf Arabisch so viel wie der Sichtbare, der Name stammt aus einer Erzählung von Borges und davor noch aus einer orientalischen Sage, der zufolge Allah die Vollblüter aus einer Handvoll Wind erschaffen hat. In der gleichnamigen Erzählung von Borges ist der Zahir ein Wesen, das die furchtbare Macht besitzt, niemals von dem vergessen werden zu können, der es ein einziges Mal gesehen hat. Doch von Zahir war hier nicht mehr das Geringste zu sehen, er war wie vom Dunkel verschluckt, hatte sich in Luft aufgelöst, sein Schwarz war mit dem Schwarz der umgebenden Finsternis verschmolzen. Die Nacht zeigte ihre gewohnte Dunkelheit, und es schien, als ob es dem Vollblut gelungen sei, tief in ihre Materie einzudringen, die ihn auf der Stelle verschlungen und verdaut hatte. Die Autos rasten mit hoher Geschwindigkeit dem Horizont entgegen, der Regen peitschte gegen die Scheiben, die Karosserien der Autos wurden von den Unebenheiten des Straßenbelags durchgerüttelt. Am Ende des riesigen Parkplatzes angekommen, stießen sie auf einen befestigten Seitenstreifen, hinter dem nichts mehr zu sein schien – nur dunkler, vom Regen aufgeweichter Rasen, unbebautes Gelände, so weit das Auge reichte –, und sie mussten einsehen, dass Zahir ihnen entkommen war. Aus der Ferne in der Nacht erklangen die Sirenen von Rettungswagen, eine Ambulanz vor dem Hangar, man versorgte den verletzten Japaner, Feuerwehrwagen hatten an Start- und Landebahnen Position bezogen und Absperrungen errichtet, jeglicher Flugverkehr, alle Starts und Landungen waren eingestellt worden, die Verantwortlichen des Flughafens konnten nicht das Risiko eingehen, Flugzeuge landen zu lassen, während irgendwo auf dem Flughafengelände ein Vollblut frei herumlief. Die Verfolger mussten langsamer fahren, ihren ersten überstürzten Vorstoß abbrechen, um mit mehr Geduld das Vollblut in dieser Dunkelheit aufzuspüren. Mit gedrosselter Geschwindigkeit fuhren sie eine schmale, schwach beleuchtete Straße entlang, saßen mucksmäuschenstill in ihren Fahrzeugen und suchten die Umgebung ab. Mit an die Fensterscheiben gepressten Augen warteten sie auf irgendeine Bewegung am Horizont, auf einen Schatten in der Finsternis, einen Lufthauch, einen Atemzug, mit gespitzten Ohren lagen die Fahrer in ihren Autos auf der Lauer, lauschten gespannt auf ein Geräusch von draußen von den Pisten, auf etwas, das den Aufenthaltsort des Pferdes hätte verraten können, ein Wiehern, ein Schnauben oder Hufgeklapper auf dem Asphalt. Es gab hier keine Stelle, an der das Pferd sich hätte verstecken können, das Flughafengelände war völlig plan, kein Hindernis, keine Bäume, kein Unterholz, am Horizont war nichts zu sehen. Am Ende der Straße angekommen, umfuhren sie eine Straßensperre und bogen, immer noch in Zeitlupe, immer noch schweigend, auf eine der Rollbahnen, erforschten die umgebende Nacht, spähten in die Dunkelheit, als plötzlich, wie aus dem Nichts, mit derselben Plötzlichkeit, mit der er verschwunden war, der mächtige schwarze Körper Zahirs im Licht der Scheinwerfer Gestalt gewann, gleichzeitig im Galopp und doch erstarrt, kopflos, mit vor Schrecken aufgerissenen Augen, das Fell schwarz und nass, so als tauchte er in diesem Moment aus der Nacht hervor, in die er sich zuvor aufgelöst hatte.
Augenblicklich beschleunigten die drei Fahrzeuge und nahmen die Verfolgung auf, die Entfernung betrug etwa hundert Meter, das Pferd galoppierte vor ihnen in die Nacht hinein, die Mähne flatterte im Wind, die Beine bewegten sich in einem wilden, verzweifelten Sprint, die Hufe stampften wütend über den Asphalt. Sie ließen es jetzt im Licht der Scheinwerfer nicht mehr aus den Augen, sie hielten es fest im Visier, klebten an seiner wildgewordenen, gekrümmten und geschwungenen Silhouette, folgten nach links, wenn es nach links lief, bogen mit ihm ab, Seite an Seite rasten die drei Fahrzeuge über das riesige menschenleere Rollfeld hinter dem Pferd her, um es daran zu hindern, kehrtzumachen und ihnen zu entkommen, versuchten mit jedem Mal, das Netz enger zu ziehen, die Fahrzeuge kommunizierten ständig miteinander, Jean-Christophe de G. leitete vom Minibus aus die Verfolgung, gab dem Fahrer Anweisungen, telefonierte mit dem
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