Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über Marie - Roman

Die Wahrheit über Marie - Roman

Titel: Die Wahrheit über Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
Vom Netzwerk:
diskutierten die vier Japaner bereits mit einem Zöllner mit leichenblassem, kränklichem Teint und eingefallenen Wangen, der eine Uniformmütze mit Wappen auf dem Kopf und einen masuku über dem Mund trug, jenen Mundschutz aus weißem Mull, der den unteren Teil des Gesichts bedeckt und vor Viren schützt. Er war gerade dabei, ein Ausfuhrdokument des Vollbluts zu studieren, als er Jean-Christophe de G. eintreten sah und auf der Stelle seine Lektüre unterbrach, er verbeugte sich vor ihm wie entschuldigend und erklärte durch den feinen Stoff seines Mundschutzes auf Englisch, dass er bedaure, ihn am Zoll warten lassen zu müssen, er aber jetzt alles Mögliche tun werde, damit das Verladen des Pferdes ohne Verzögerung vonstattengehen könne. Ungläubig starrte Jean-Christophe de G. den Zöllner an, denn es wurde ihm aus dem, was er von dem doppelt gefilterten Gezischel verstand (durch das Hindernis der Sprache wie durch das des Mulls), klar, dass die Zollabfertigung des Pferdes, die er so sehr gefürchtet hatte und die er nur wenige Sekunden zuvor noch als gescheitert angesehen hatte, in diesem Augenblick und ohne jede Komplikation erledigt war.
    Jean-Christophe de G. war wieder aus dem Hangar getreten und wartete auf die Ankunft des Containers, in dem das Pferd an Bord des Flugzeugs kommen sollte. Der Fahrer des Pferdetransporters hatte bereits die Heckklappe des Lastwagens geöffnet und im Regen die Metallrampe heruntergelassen, während die Helfer sich um den Transporter herum postierten. Zwei von ihnen erinnerten in ihren eng taillierten Lederblousons mit dem orangefarbenen Innenfutter vage an Yakuza oder kleine japanische Gauner, der Dritte, sehr dick, mit rasiertem Schädel und einem gewaltigen Körper, dem Nacken eines Stiers und der Haut eines Büffels, war vielleicht auch ein Japaner, doch mit seinem Türsteherlook und seinen winzigen, internationalen Schlitzaugen, die überall in die Welt passten, hätte er auch in Moskau oder New York reüssiert. Wie es schien, hatten die drei nicht die Erlaubnis, das Pferd zu berühren, sie waren nur dazu abgestellt, auf dessen Sicherheit zu achten und zu verhindern, dass jemand sich ihm näherte. Jedenfalls machten sie nicht den Anschein, den anderen helfen zu wollen, sondern beschränkten sich darauf, durch ihre schiere Präsenz vor dem Transporter eine abschreckende Wirkung zu erzeugen und ihre Umgebung auffällig zu beobachten. Man wartete noch immer auf das Eintreffen der Reisebox des Pferdes, zwei der vier Japaner waren im Inneren des Vans damit beschäftigt, das Vollblut zu besänftigen und zur Ruhe zu bringen, ihm sanft den Hals zu streicheln, damit es sich an sie gewöhnen konnte. Denn seit der Entlassung des Trainers an eben diesem Vormittag, und nicht allein des Trainers, sondern der gesamten Mannschaft, seinen Burschen inbegriffen (was rückblickend betrachtet ein Fehler war, selbst Jean-Christophe de G. musste sich das eingestehen), hatte das Vollblut keinen Stallburschen mehr, es hatte seinen angestammten ersten Stallburschen verloren, den Menschen seines Vertrauens, der ihn seit seiner Geburt überallhin ins Ausland begleitet hatte, der immer mit ihm gereist war, der ihm auf seinen Reisen Futter gab, ihn an den Renntagen im Führring präsentierte, ihn, den Einzigen, an den das Pferd gewöhnt war.
    Endlich war der Container, in dem das Pferd die Reise antreten sollte, auf dem Parkplatz eingetroffen, wie eine Prozessionsfigur thronte er auf einem flachen Anhänger, den ein kleiner Elektrokarren hinter sich schleppte. Die Zugmaschine umkurvte die an den Lagerhäusern geparkten Fahrzeuge und hielt neben dem Minibus vor dem Eingang des Hangars. Das Manöver wurde von einem Frachtmanager der Lufthansa überwacht, der ein Funkgerät in der Hand hielt und dessen riesiger schwarzer Regenumhang über seiner Uniform im Regen flatterte. Zwei Techniker sprangen aus der Fahrerkabine der Zugmaschine und kletterten auf den Anhänger, um die Schlösser der Pferdebox zu öffnen und eine Rampe zu installieren, auf der das Pferd in die Box gelangen konnte, eine Art hermetisch abgedichteter Kasten aus geriffeltem Metall, auf dem etliche Überbleibsel gelborangefarbener Aufkleber der Firma Lufthansa klebten. Marie hatte sich im Hangar vor dem Regen in Sicherheit gebracht und beobachtete die Operation aus der Ferne. Alle Türen waren jetzt geöffnet, aber vom Pferd war in den Tiefen des Vans immer noch nichts zu sehen, alle Blicke waren jetzt auf das Fahrzeug gerichtet. Von der

Weitere Kostenlose Bücher