Die Wahrheit über Marie - Roman
Innehalten, dann den Arm ins Meer getaucht, und kam dann zu mir zurückgeschwommen, blieb eine Weile an meiner Seite, wie schwerelos auf dem Rücken im Wasser treibend. Marie war nicht zu fassen, sie näherte sich mir und entfernte sich wieder von mir, sie lachte mich an und sie verschwand unter Wasser. Manchmal streiften sich unsere Beine, berührten sich sachte im Meer, ich habe ihre Schulter gestreichelt, als ich ihr zärtlich ein paar Algen entfernte, die in ihrem Haar klebten. Nichts war erklärt, nichts wurde ausgesprochen, aber mehr als einmal haben sich unsere Finger berührt, sich im Wasser unsere Blicke gekreuzt und umschlungen. Ich spürte deutlich, wie eine uralte Komplizenschaft zwischen uns beiden zu neuem Leben zu erwachen begann, und mich ergriff eine Mischung aus Rührung und Zaghaftigkeit. Ich spürte das Verlangen, sie in meine Arme zu nehmen und mich ihr hier im Meer hinzugeben, meinen Körper im warmen Wasser an den ihren zu drücken. Sie kam wieder zu mir hergeschwommen, die Taucherbrille auf der Stirn, die Wangen nass, sie schien glücklich, strahlte vor Freude, lächelte mir verschmitzt zu, so, als würde sie mir gleich irgendeinen dummen Streich spielen, und da erst sah ich, dass sie ihren Badeanzug zusammengeknüllt in ihrer rechten Hand hielt.
Marie hatte ihren Badeanzug ausgezogen und schwamm nackt neben mir im Meer, mit weit geöffneten Augen folgte ich der fluktuierenden Linie ihrer Nacktheit, die je nach Wasserstand changierte, eben noch sehr streng und züchtig hochgeschlossen bis zum Hals, dann bis unter den Bauchnabel sichtbar, wenn sie so aufreizend und freizügig wie schwerelos auf dem Rücken schwamm und ihr nasser Bauch und die nassen Schamhaare und ihre Brustspitzen aus der sachten Brandung des auf ihrem Körper stehenden Wassers auftauchten. Ich ließ die Augen nicht von ihr, begleitete mit Blicken ihren Badeanzug, der zu ihrer Standarte geworden war, zur Piratenflagge ihrer Nacktheit im Meer. Wir hatten angehalten und unsere Gesichter einander zugewandt, wir lächelten uns an, ich betrachtete Marie vor mir, nackt und mit Taucherbrille. Ich näherte mich ihr langsam und fasste sie leicht an der Schulter, sie ließ es geschehen, in ihren Blick trat jetzt etwas Bedeutungsschweres, und gerade als ich spürte, dass sie bereit war, sich meiner Umarmung hinzugeben, bemerkte sie plötzlich ein perlmutternes Schimmern am Meeresgrund – eine Abalone! –, und schon schlängelte sie sich wie ein Aal an meiner nassen Haut entlang, entwich meinen Armen und tauchte unter, stieß senkrecht hinab zu der flüchtig gesehenen Spiegelung, nicht ohne mir bei ihrem Verschwinden das ausdrucksstärkste Noli me tangere , das man sich vorstellen kann, zu präsentieren: die Kurve ihres Hinterteils, wie es sich ins Meer bohrte.
Marie ließ sich neben mir auf den Felsen nieder. Tröpfchen übersäten ihren nackten Körper, den die Sonne nach und nach trocknete, auf ihrer Haut blieben mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Spuren von Salz zurück, und ich stellte mir den köstlichen Geschmack vor, den das auf der Spitze meiner Zunge hinterlassen würde. Nach einem Moment des Nachdenkens streckte sie mir mit geschlossenen Augen zärtlich ihre Hand ins Leere entgegen und sagte mit leiser Stimme diesen rätselhaften Satz: Du musst wissen, ich war nicht seine Geliebte …, der Satz hallte einen Augenblick durch die Stille der Bucht. Sie sagte nicht, wessen Geliebte sie nicht war, aber ich hatte sehr wohl verstanden und war ihr dankbar, dass sie den Namen nicht genannt hatte (ich selbst tat übrigens so, als würde ich mich nicht so genau an seinen Namen erinnern). Marie hatte sich nicht bewegt, lag immer noch auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen und angezogenem Knie, die Hand flach auf dem Felsen. In der Bucht war wieder Stille eingekehrt, kaum gestört durch das fast unhörbare Murmeln des Wassers, das weiter unten plätscherte. Was hatte sie mir sagen wollen, als sie mir sagte, dass sie nicht seine Geliebte gewesen sei? Dass sie keine sexuelle Beziehung mit ihm gehabt hatte? Was wenig wahrscheinlich war, wenn nicht unmöglich, selbst wenn man sich natürlich vorstellen könnte, dass ihre Beziehung nicht stricto sensu sexuell gewesen war, also im spitzfindigsten Sinne des Wortes, will sagen, wo keine sexuelle Penetration, da auch keine sexuelle Beziehung – diese Art der Rechtsprechung schließt ja Fellatio und Cunnilingus nicht ein (was heißt, Spaß haben, ohne gleich Geliebte zu werden) –, aber ich
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