Die Wahrheit
Hinterbliebenen der Zivilisten an Bord des Shuttles wären berechtigt gewesen, die Regierung und die Firma, die den Shuttle erbaut hat, auf Schadenersatz zu verklagen. Doch den Familienangehörigen des Militärpersonals an Bord wurde dieses Recht aufgrund der Immunität, das dieses Gericht dem Militär verliehen hat, verweigert. Halten Sie das für fair?«
Anderson griff auf die alte, zuverlässige Leier zurück. »Wenn wir Klagen gegen das Militär zulassen, gefährden wir damit unnötig die nationale Sicherheit dieses Landes.«
»Und genau das ist des Pudels Kern«, sagte Ramsey, überaus zufrieden damit, daß Anderson die Sache zur Sprache gebracht hatte. »Es ist ein Balanceakt, und dieses Gericht hat bereits entschieden, wo das Gleichgewicht liegt.«
»Ganz genau, Chief Justice«, sagte Anderson. »Es ist ein unumstößliches Gesetz.«
Die Knight lächelte fast. »Wirklich? Ich dachte, ein unumstößliches Gesetz sei das verfassungsmäßige Recht der Bürger dieses Landes, vor den Gerichten auf Schadenersatz für ihre erlittenen Verluste zu klagen. Kein Gesetz dieses Landes gewährt dem Militär Immunität vor Klagen. Der Kongreß hat das nicht als angemessen erachtet. In Wirklichkeit war es dieses Gericht, das dem Militär diese Sonderbehandlung 1950 aus heiterem Himmel zugestanden hat. Das würde ich kaum als unumstößlich bezeichnen.«
»Doch es handelt sich nun um das vorherrschende Präjudiz«, stellte Ramsey klar.
»Präjudizen ändern sich«, erwiderte die Knight. Ramseys Worte ärgerten sie zutiefst, denn gerade der Chief Justice hatte kein Problem damit, schon lange bestehende Präzedenzfälle aufzuheben, wenn es ihm gerade paßte.
»Mit allem gebührenden Respekt«, sagte Anderson, »ich halte es für das beste, wenn das Militär diese Angelegenheiten intern regelt, Richterin Knight.«
»Mr. Anderson, bestreiten Sie die Zuständigkeit oder Befugnis dieses Gerichts, diesen Fall zu verhandeln und ein Urteil zu fällen?«
»Natürlich nicht.«
»Dieses Gericht muß entscheiden, ob man sich ironischerweise praktisch jeden Schutz und alle Rechte nehmen lassen muß, die man als Bürger hat, wenn man seinem Land beim Militär dient.«
»So würde ich es nicht unbedingt ausdrücken.«
»Aber ich, Mr. Anderson. Es ist wirklich eine Frage der Gerechtigkeit.« Sie sah Ramsey an. »Und wenn wir hier keine Gerechtigkeit bieten, fällt mir wirklich nicht ein, wo man sie finden könnte.«
Während Fiske diesen leidenschaftlichen Worten lauschte, schaute er wieder zu Sara. Als wüßte sie irgendwie, daß er sie ansah, erwiderte sie seinen Blick.
Fiske glaubte plötzlich zu wissen, daß sie dasselbe wie er dachte: Würde Rufus Harms je wirkliche Gerechtigkeit finden, auch wenn sie das ganze Geheimnis irgendwie aufklären sollten und die Wahrheit schließlich herauskam?
KAPITEL 48
Josh Harms aß sein Sandwich auf und rauchte dann gemütlich eine Zigarette, während sein Bruder auf dem Beifahrersitz döste. Sie standen auf einem Weg in einem dichten Waldgebiet, der von Holzfällern angelegt worden war. Nachdem sie fast die ganze Nacht durchgefahren waren, hatten sie schließlich anhalten müssen, weil Josh kaum noch die Augen aufhalten konnte und er nicht gewollt hatte, daß sein Bruder fuhr. Schließlich hatte Rufus seit fast dreißig Jahren nicht mehr hinter dem Steuer eines Fahrzeugs gesessen. Außerdem mußte Rufus sich aus offensichtlichen Gründen hinten im Wagen verstecken, wenn sie auf der Straße waren. Rufus hatte Wache gehalten, solange sein Bruder geschlafen hatte, und nun hatte Josh ihn abgelöst.
Sie hatten während der Fahrt darüber gesprochen, was sie nun unternehmen sollten. Zu seiner eigenen Überraschung hatte Josh sich dagegen ausgesprochen, nach Mexiko zu fahren.
»Verdammt, was ist nur los mit dir? Ich dachte, du wolltest nichts damit zu tun haben. Das hast du doch gesagt, oder?« hatte Rufus staunend angemerkt.
»Ja. Aber nachdem wir uns einmal entschieden haben - verdammt, nachdem ich mich entschieden habe -, sollten wir dabei bleiben. Mehr sage ich gar nicht. Ich bin doch kein Schlappschwanz, der sich vor irgendwas drückt. Wenn du was unternehmen willst, solltest du es tun.«
»Hör mal, Josh, wenn Fiske nicht so schnell geschaltet hätte, wären wir beide jetzt tot. Ich will dich nicht auf dem Gewissen haben.«
»Siehst du, da denkst du nicht richtig nach. Verdammt, schlimmer, als es ist, kann es nicht mehr werden. Warum sorgen wir nicht dafür, daß es besser wird? Du
Weitere Kostenlose Bücher