Die Wahrheit
verwirrenden Folgen, die sich daraus ergaben, zu verdrängen. Er saß in einem abgetrennten Teil des Saals, der für Angehörige des Gerichts reserviert war. Er sah zu Sara hinüber, die mit den anderen Assessoren auf den steil ansteigenden Rängen über der Richterbank saßen. Sie bemerkte seinen Blick, schaute zu ihm hinüber und lächelte.
Während die Richter zwischen den Vorhängen hervortraten und Platz nahmen, beendete Perkins seine kleine Rede, und alle Anwesenden erhoben sich. Fiske sah zu Richterin Knight hinüber. Ihre unauffälligen Bewegungen - hier das leichte Aufsetzen eines Ellbogens, dort ein Finger, der über Papier glitt - zeugten von einer fast unbeherrschbaren Energie. Sie sah aus, dachte er, wie eine Rakete, die an ihren Verankerungen riß, unbedingt explodieren wollte. Er sah zu Ramsey hinüber. Der Mann lächelte, wirkte ganz ruhig, schien alles unter Kontrolle zu haben. Doch hätte Fiske auf jemanden setzen müssen, hätte er seine Chips ganz nach rechts geschoben, direkt vor Richterin Elizabeth Knight.
Der Fall Chance gegen die Vereinigten Staaten wurde aufgerufen.
Der Anwalt der Chance, ein scharfer Hund von der juristischen Fakultät der Universität Harvard, der schon mehrfach mit großem Erfolg vor dem Obersten Gerichtshof aufgetreten war, machte sich schwungvoll an seine Argumentation.
Bis Ramsey ihn unterbrach.
»Sie kennen den Feres-Grundsatz, Mr. Barr?« fragte er, womit er sich auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1950 bezog, das dem Militär zum erstenmal Immunität vor Klagen gewährt hatte.
Barr lächelte. »Leider ja.«
»Verlangen Sie von uns, daß wir einen seit fünfzig Jahren bestehenden Präzedenzfall aufheben?« Ramsey schaute die Bank auf und ab. »Wie können wir diesen Fall zu Gunsten Ihrer Klientin entscheiden, ohne das Militär und dieses Gericht auf den Kopf zu stellen?«
Die Knight ließ nicht zu, daß Barr darauf antwortete. »Das Gericht hat sich von diesem Argument nicht abhalten lassen, die Rassentrennung an den Schulen dieses Landes aufzuheben. Wenn die Sache gerechtfertigt ist, sind auch die Mittel gerechtfertigt, und Präzedenzfälle dürfen uns nicht im Weg stehen.«
»Bitte beantworten Sie meine Frage, Mr. Barr«, beharrte Ramsey.
»Dieser Fall unterscheidet sich von dem Präjudiz.«
»Wirklich? Es ist doch unbestritten, daß Barbara Chance und ihre männlichen Vorgesetzten Uniform trugen, sich auf Regierungseigentum befanden und ihren offiziellen Pflichten nachgingen, als der sexuelle Zwischenfall sich ereignete?«
»Ich würde erzwungenen Geschlechtsverkehr kaum als offizielle Pflicht< bezeichnen. Doch ungeachtet dessen ist die Tatsache, daß ihr Vorgesetzter seinen Rang benutzte, um sie zu etwas zu zwingen, das einer Vergewaltigung gleichkommt, und .«
»Und«, warf Knight ein, die anscheinend einfach nicht still bleiben konnte, »die vorgesetzten Offiziere im fraglichen Stützpunkt und in der regionalen Kommandostelle wußten von diesen Vorfällen, wurden sogar schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt, haben aber nur höchst beiläufige Ermittlungen eingeleitet. Barbara Chance persönlich hat die örtliche Polizei hinzugezogen. Erst deren Untersuchung förderte schließlich die Wahrheit zutage. Diese Wahrheit ist ein Vorfall, der bei jeder anderen Organisation in diesem Land zu Schadenersatz berechtigen würde.«
Fiske sah von Ramsey zu Knight. Plötzlich hatte er den Eindruck, es säßen keine neun Richter dort, sondern nur noch zwei. In Fiskes Vorstellung hatte der Gerichtssaal sich in einen Boxring verwandelt, mit Ramsey als Champion und der Knight als talentierter, aber eindeutig unterlegener Herausforderin.
»Wir sprechen hier über das Militär, Mr. Barr«, sagte Ramsey, sah dabei aber die Knight an. »Dieses Gericht hat entschieden, daß das Militär sui generis ist. Mit diesem Präjudiz haben Sie es zu tun. Bei Ihrem Fall geht es um die Befehlshierarchie. Eine Untergebene und ihr Vorgesetzter. Genau dieses Thema hat dieses Gericht - mehrfach - angesprochen und dabei eindeutig entschieden, daß es sich nicht in die mutmaßliche Immunität des Militärs einmischen wird. So lautete gestern das Gesetz, und so lautet es heute. Was mich zu meiner ursprünglichen Aussage zurückführt. Um für Ihre Klientin einzutreten, müßte dieses Gericht eine lange Reihe von Präzedenzurteilen aufheben, die über die Jahre hinweg stets bestätigt wurden. Das verlangen Sie von uns.«
»Wie ich schon erwähnt habe, ist der stare
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