Die Wahrheit
decisis eindeutig nicht unfehlbar«, sagte Knight und bezog sich damit auf die Praxis des Gerichts, an seinen einmal getroffenen Urteilen festzuhalten und sie zu bestätigen.
Es ging auch weiterhin zwischen der Knight und Ramsey hin und her. Jede Salve, die die eine Seite abfeuerte, wurde von der anderen umgehend beantwortet. Die anderen Richter und auch Mr. Barr waren kaum mehr als interessierte Zuschauer, dachte Fiske.
Als der Anwalt für die Vereinigten Staaten, James Anderson, zu seinem Plädoyer vortrat, ließ die Knight ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
»Warum beeinträchtigt es die Befehlshierarchie, wenn wir eine Klage auf Schadenersatz wegen stillschweigender Duldung einer feindseligen Umgebung für Frauen zulassen?« fragte sie ihn.
»Das hätte eindeutig negative Auswirkungen auf die Integrität des Verhältnisses zwischen vorgesetztem und untergeordnetem Personal«, antwortete Anderson wie aus der Pistole geschossen.
»Mal sehen, ob ich Ihre Argumentation richtig verstanden habe. Indem wir dem Militär über Jahre hinweg erlaubt haben, seine Soldaten ungestraft zu vergiften, zu vergasen, zu verstümmeln, zu töten und zu vergewaltigen, und den Opfern jeden Anspruch auf Regreß verweigern, verbessern wir irgendwie die Beziehungen zwischen den Militärangehörigen untereinander und die Integrität des Militärs? Es tut mir leid, aber dieser Zusammenhang erschließt sich mir nicht ganz.«
Fiske mußte sich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen. Sein Respekt vor der Knight als Anwältin und Richterin wuchs um das Zehnfache. Mit zwei Sätzen hatte sie die gesamte Argumentation der Army ins Lächerliche gezogen. Er schaute zu Sara hinüber. Ihr Blick ruhte auf der Knight, und zwar mit beträchtlichem Stolz, wie Fiske zu erkennen glaubte.
Anderson errötete schwach. »Wie der Chief Justice schon klargestellt hat, ist das Militär ein einzigartiges eigenständiges Gebilde. Wenn man zuläßt, daß nach Belieben Klagen eingereicht werden, behindert und zerstört man diese besondere Verbindung zwischen dem Personal nur.«
»Also ist das Militär etwas Besonderes?«
»Richtig.«
»Weil es uns verteidigt und schützt?«
»Genau.«
»Die vier Waffengattungen der bewaffneten Streitkräfte werden also durch diese Immunität geschützt. Warum erweitern wir diesen Schutz dann nicht auf andere >besondere< Organisationen? Zum Beispiel auf die Feuerwehr? Die Polizei? Sie schützen uns. Auf den Secret Service? Er schützt den Präsidenten, möglicherweise die wichtigste Person unseres Landes. Was ist mit Krankenhäusern? Sie retten uns das Leben. Warum verleihen wir den Krankenhäusern keine Immunität vor Klagen, falls Ärzte Krankenschwestern vergewaltigen?«
»Wir begeben uns jetzt weit über die Grenzen dieses Falles hinaus«, sagte Ramsey streng.
»Meines Erachtens versuchen wir, genau diese Grenzen festzulegen«, schoß Knight zurück.
»Ich glaube, der Fall Vereinigte Staaten gegen Stanley ...«, begann Anderson.
»Freut mich, daß Sie ihn erwähnen. Lassen Sie mich kurz die Fakten dieses Falls zusammenfassen«, sagte die Knight. Sie wollte sich unbedingt Gehör verschaffen. Die anderen Richter sollten es mitbekommen, von denen viele schon hier gesessen hatten, als der Fall ursprünglich entschieden worden war, aber auch die Öffentlichkeit. Für die Knight war der Fall Stanley einer der schlimmsten Justizirrtümer der Geschichte und der Inbegriff aller Fehler, welche dieses Gericht begangen hatte. Zu dieser Schlußfolgerung war auch Steven Wright in seiner Vorlage gekommen. Und sie hatte vor, dieser Ansicht heute Gehör und bei der Abstimmung eine Mehrheit zu verschaffen.
Als Richterin Knight wieder das Wort ergriff, war ihre Stimme stark und fest.
»Stanley war in den fünfziger Jahren in der Army und hat sich freiwillig für ein Programm gemeldet, das angeblich mit einer in der Entwicklung befindlichen Schutzkleidung gegen chemische Kriegführung zu tun hatte. Die Versuche wurden in Maryland durchgeführt, auf dem Versuchsgelände Aberdeen. Stanley hat sein schriftliches Einverständnis erklärt, wurde aber niemals aufgefordert, irgendeine Spezialkleidung anzulegen oder Tests mit Gasmasken oder so durchzuführen. Er hat lediglich über einen längeren Zeitraum hinweg mit Psychologen über eine Vielzahl persönlicher Angelegenheiten gesprochen, bekam während dieser Sitzungen ein paar Gläser Wasser zu trinken, und das war es auch schon. Etwa zwanzig Jahre später bekam Stanley, mit dessen
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