Die Wahrheit
Einschreibebrief aus, damit er eine Empfangsbescheinigung bekam. Er gab den Brief dem Schalterbeamten, bezahlte das Porto, bekam den Einlieferungsschein und kehrte in sein Büro zurück. Erst dort fiel ihm ein, daß das Gericht den Absender anhand des Rückscheins ermitteln konnte. Rider seufzte. Auf das, was nun in Gang kam, hatte Rufus sein halbes Leben lang gewartet. Und in gewisser Hinsicht hatte Rider ihn damals im Stich gelassen.
Den Rest des Tages lag der Anwalt im Dunkeln auf der Couch in seinem Büro und betete stumm, das Richtige getan zu haben. Doch im Herzen wußte er es schon.
KAPITEL 7
»Ramseys Assessoren liegen mir wegen des Kommentars in den Ohren, den Sie neulich über die Frage abgegeben haben, daß den Armen eine gewisse Präferenzbehandlung zusteht, Richterin Knight.« Sara schaute zu der Frau hinüber, die ruhig und gelassen hinter ihrem Schreibtisch saß.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht Elizabeth Knights, während sie Dokumente durchsah. »Das kann ich mir gut vorstellen.«
Sie beide wußten, daß Ramseys Assessoren einer gut ausgebildeten Spezialeinheit ähnelten. Sie hatten ihre Fühler überallhin ausgestreckt und hielten nach allem Ausschau, was den Obersten Richter interessieren und für seine Tagesordnungspunkte von Belang sein konnte. So gut wie nichts entging ihrer Aufmerksamkeit. Jedes Wort, jeder Ausruf, jedes Gespräch, jede beiläufige Plauderei auf dem Flur wurde sorgfältig notiert, analysiert und für zukünftige Verwendung archiviert.
»Also war genau diese Reaktion von Ihnen beabsichtigt?«
»Sara, auch wenn es mir nicht gefällt, aber hier geschehen Dinge, die man einfach hinnehmen muß. Manche nennen es ein Spiel. Ich bin anderer Meinung. Aber ich kann diese Vorgänge nicht ignorieren. Der Oberste Richter bereitet mir kein so großes Kopfzerbrechen. Ich werde bei einer Reihe von Abstimmungen Standpunkte einnehmen, die Ramsey niemals unterstützen wird. Ich weiß es, und er weiß es auch.«
»Also haben Sie einen Versuchsballon für die anderen Richter steigen lassen.«
»Gewissermaßen, ja. Die mündliche Verhandlung ist aber auch ein offenes, öffentliches Forum.«
»Also für die Öffentlichkeit.« Saras Gedanken überschlugen sich. »Und für die Medien?«
Elizabeth Knight legte die Papiere auf den Schreibtisch, faltete die Hände und blickte die jüngere Frau an. »Dieses Gericht wird stärker von der öffentlichen Meinung beeinflußt, als viele eingestehen würden. Einige hier würden den Status quo gern auf ewig erhalten. Aber das Gericht muß mit der Zeit gehen, und die Zeiten ändern sich.«
»Und das hat etwas mit den Fällen zu tun, die ich recherchieren sollte, nicht wahr? Bei denen es darum geht, daß die Armen das gleiche Recht auf eine Ausbildung bekommen wie die Wohlhabenden?«
»Ich habe größtes Interesse daran.« Elizabeth Knight war im Osten von Texas aufgewachsen, im armen Hinterland. Doch ihr Vater war ein reicher Mann gewesen, was ihr eine erstklassige Ausbildung ermöglicht hatte. Oft hatte Elizabeth sich gefragt, wie ihr Leben verlaufen wäre, wäre ihr Vater arm gewesen - wie sehr viele Leute, unter denen sie aufgewachsen war. Alle Richter schleppten eine psychologische Last mit zum Gericht, und Elizabeth Knight war da keine Ausnahme. »Und mehr werde ich jetzt nicht dazu sagen.«
»Und Blankley?« sagte Sara. Sie bezog sich damit auf die Verhandlung, in der es um positive Diskriminierung ging - den Fall, den Ramsey so drastisch aus den Angeln gehoben hatte.
»Wir haben natürlich noch nicht darüber abgestimmt, Sara, also kann ich noch nicht sagen, was dabei herauskommen wird.« Diese Abstimmungen fanden unter strengster Geheimhaltung statt; nicht einmal ein Stenograph oder eine Sekretärin war dabei. Doch wer die Vorgänge bei Gericht einigermaßen aufmerksam verfolgte - und dazu gehörten auch die Assessoren, die sich Tag für Tag hier aufhielten -, konnte mit einiger Genauigkeit vorhersagen, was diese Abstimmungen ergeben würden, wenngleich die Richter immer wieder für Überraschungen gut waren. Der deprimierte Blick Elizabeth Knights jedoch ließ erkennen, wie im Fall Blankley die Stimmen verteilt waren.
Und Sara konnte den Kaffeesatz genauso gut lesen wie jeder andere. Michael Fiske hatte recht. Die einzige Frage lautete, wie schwungvoll die Begründung ausfallen würde.
»Schade nur, daß ich nicht mehr hier sein werde, um zu erleben, welche Früchte meine Recherche tragen wird«, sagte Sara.
»Das weiß man nie.
Weitere Kostenlose Bücher