Die Wahrheit
vielleicht ein paar Splitter finden. Und ich dachte mir, in der Zwischenzeit schaue ich mal vorbei und unterhalte mich mit Detective Chandler darüber, wer ihn umgebracht haben könnte.«
»Aber das ist nicht Ihre Aufgabe, nicht wahr?« sagte sie kalt. »Wir haben schon genug Probleme, ohne daß sich Familienangehörige in polizeiliche Ermittlungen einmischen. Falls Detective Chandler Sie braucht, wird er sich bestimmt bei Ihnen melden.« Sie wandte sich wieder von ihm ab.
Fiske schloß die Finger um die Schreibtischkante, atmete tief ein und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Hören Sie, mir ist klar, wie viele Fälle Sie bearbeiten müssen, und Sie haben keine Ahnung, wer ich bin .«
»Ich habe wirklich viel zu tun, Sir. Falls Sie ein Problem haben, wenden Sie sich bitte schriftlich an uns.« »Ich will doch nur mit dem Mann sprechen!«
»Muß ich einen Beamten rufen, oder was?«
Fiske schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Mein Bruder ist tot! Und ich wüßte es wirklich zu schätzen, wenn Sie diese beschissene Haltung aufgeben und wenigstens eine Spur von Mitgefühl zeigen würden. Und wenn Sie nicht zu Mitgefühl imstande sind, Lady, dann täuschen Sie es wenigstens vor!«
»Ich bin Buford Chandler.«
Sowohl Fiske als auch Baxter drehten sich um. Chandler war ein Schwarzer, Anfang Fünfzig, hatte lockiges weißes Haar, einen Schnurrbart von gleicher Farbe und einen großen, ziemlich untersetzten Körper, der eine gewisse Sportlichkeit aus seiner Jugend bewahrt hatte. Er trug ein leeres Schulterhalfter, und dort, wo sich der Griff der Waffe befunden hatte, war auf seinem Hemd ein kleiner Schmierölfleck zu sehen. Er musterte Fiske von oben bis unten durch eine Brille mit Trifokalgläsern.
»Ich bin John Fiske.«
»Das habe ich mitbekommen. Ich stand die ganze Zeit hier drüben und habe mir alles angehört.«
»Dann wissen Sie, was er zu mir gesagt hat, Detective Chandler?« sagte Baxter.
»Jedes Wort.«
»Und haben Sie nichts dazu zu sagen?«
»Doch, habe ich.«
Baxter schaute zu Fiske hinüber. Auf ihrem Gesicht lag ein zufriedener Ausdruck. »Und?«
»Ich glaube, dieser junge Mann hat Ihnen einen ziemlich guten Rat erteilt.« Chandler krümmte einen Finger und winkte Fiske zu sich. »Unterhalten wir uns.«
John folgte dem Detective durch einen Gang, in dem rege Betriebsamkeit herrschte, in ein kleines, hoffnungslos vollgestopftes Büro. »Setzen Sie sich.« Chandler wies auf den einzigen Stuhl im Raum, vom Stuhl hinter seinem Schreibtisch einmal abgesehen. Er war mit Akten übersät. »Legen Sie den Papierkram einfach auf den Boden.« Chandler hob warnend einen Finger. »Aber passen Sie auf, daß Sie keine Beweise beschädigen. Wenn ich heutzutage rülpse, während ich mir eine Gewebeprobe anschaue, kriege ich zu hören: >Unzulässige Beweise! Lassen Sie meinen Mandanten, dieses Arschloch von Massenmörder, gefälligst frei.<«
Während Chandler hinter seinem Schreibtisch Platz nahm, räumte Fiske vorsichtig die Akten beiseite.
»Ich möchte nicht hören, daß es Ihnen leid tut, was Sie zu Judy Baxter gesagt haben.«
»Das wollte ich auch nicht sagen.«
Chandler unterdrückte ein Lächeln. »Na schön, eins nach dem anderen. Das mit Ihrem Bruder tut mir leid.«
»Danke«, sagte Fiske gedämpft.
»Das haben Sie jetzt wahrscheinlich zum erstenmal gehört, seit Sie hier in der Stadt sind, was?«
»Ja, allerdings.«
»Sie waren also mal bei der Polizei?« versetzte Chandler beiläufig und lächelte dann, als er Fiskes Erstaunen bemerkte. »Der Durchschnittsbürger weiß normalerweise nichts von Y-förmigen und intermastoiden Einschnitten. Wie Sie mit Miss Baxter gesprochen haben, sich sonst so halten und wie Sie gebaut sind, würde ich sagen, Sie waren früher Streifenpolizist.«
»Früher?«
»Wären Sie noch bei der Truppe, hätten die Kollegen aus Richmond es mir gesagt, als ich mit ihnen gesprochen habe. Außerdem kenne ich nur sehr wenige Polizeibeamte, die in der Freizeit Anzüge tragen.«
»Sie haben in allen Punkten recht. Ich bin froh, daß Sie diesem Fall zugeteilt wurden, Detective Chandler.«
»Diesem Fall und zweiundvierzig anderen aktiven Fällen. Budgetkürzungen und so weiter«, fuhr Chandler fort, als Fiske den Kopf schüttelte. »Ich habe nicht mal mehr einen Partner.« »Das heißt mit anderen Worten ... erwarten Sie keine Wunder?«
»Ich werde mein Bestes tun, um den Mörder Ihres Bruders zu finden. Aber ich gebe Ihnen keine Garantie
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