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Die Wahrheit

Die Wahrheit

Titel: Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Raum, in dem ein Medizingeruch herrschte, der viel stärker war als der in einem Krankenhaus. In der Mitte des Raums stand eine Rollbahre. Unter dem weißen Laken konnte man einige Erhebungen ausmachen, die den Kopf, die Nase, die Schultern, Knie und Füße markierten. Als Fiske zu der Bahre ging, klammerte er sich an dieselbe irrationale Hoffnung, die jeder in seiner Lage hegen würde: daß die Person unter dem Laken nicht sein Bruder, daß seine Familie noch unversehrt war.
    Als der Angestellte den Rand des Lakens ergriff, schob Fiske eine Hand um die Metallseite der Bahre und hielt sich daran fest. Als das Laken sich hob und den Kopf und Oberkörper des Verstorbenen entblößte, schaute Fiske zur Decke, schloß dann die Augen und sprach ein stummes Gebet. Er atmete tief ein, hielt die Luft in den Lungen, öffnete die Augen wieder und sah dann hinab. Bevor er es richtig mitbekam, nickte er.
    Er versuchte den Blick abzuwenden, konnte es aber nicht. Selbst ein Fremder hätte die Krümmung der Stirn, die Anordnung der Augen und des Mundes und die Linie des Kinns betrachten können und daraus geschlossen, daß die beiden Männer irgendwie verwandtschaftlich miteinander verbunden sein mußten.
    »Das ist mein Bruder.«
    Das Laken wurde wieder hinuntergesenkt, und der Angestellte gab Fiske ein Formular, das dieser unterschrieb. »Von den Gegenständen abgesehen, die die Polizei beschlagnahmt hat, werden wir Ihnen seine persönlichen Besitztümer übergeben.« Der Angestellte warf einen Blick auf die Bahre. »Wir hatten viel zu tun in dieser Woche und haben noch einen gewissen Rückstau an Leichen, müßten das Autopsie-Ergebnis aber ziemlich schnell bekommen. Der hier sieht sowieso ziemlich einfach aus.«
    Auf Fiskes Gesicht flammte Zorn auf, verblaßte aber schnell wieder. Der Mann wurde nicht dafür bezahlt, taktvoll zu sein. »Hat man schon die Kugel gefunden, die ihn getötet hat?«
    »Die Todesursache kann nur durch Autopsie bestimmt werden.«
    »Erzählen Sie mir keinen Scheiß.« Der Angestellte schaute zutiefst erschrocken drein. »Ich habe die Austrittswunde an der linken Kopfseite gesehen. Haben Sie die Kugel gefunden?«
    »Nein. Jedenfalls noch nicht.«
    »Es soll ein Raubüberfall gewesen sein«, sagte Fiske. Der Angestellte nickte. »Er wurde in seinem Wagen gefunden?«
    »Ja, die Brieftasche war weg. Wir mußten seine Identität über das Nummernschild ermitteln.«
    »Warum haben die Täter nicht den Wagen gestohlen, wenn es ein Raubüberfall war? Carjacking ist doch jetzt groß in Mode. Man prügelt die Geheimzahl der Kreditkarte aus dem Opfer heraus, bringt es um, schnappt sich den Wagen, klappert ein paar Banken ab, sackt das Geld ein, stellt den Wagen irgendwo ab und nimmt sich den nächsten vor. Warum war es bei ihm nicht so?«
    »Darüber weiß ich nichts.«
    »Wer bearbeitet den Fall?«
    »Die Sache ist in Washington passiert. Also dürfte die Mordkommission von Washington daran arbeiten.«
    »Mein Bruder war Bundesangestellter. Am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Vielleicht wird man auch das FBI hinzuziehen.«
    »Auch darüber weiß ich nichts.«
    »Ich hätte gern den Namen des Detectives der Mordkommission.«
    Der Angestellte antwortete nicht, sondern trug ein paar Notizen in die Akte ein. Vielleicht hoffte er, daß Fiske einfach ging, wenn er sich in Schweigen hüllte.
    »Ich hätte wirklich gern seinen Namen«, sagte John und trat einen Schritt näher.
    Schließlich seufzte der Angestellte, zog eine Visitenkarte aus der Akte und gab sie Fiske. »Buford Chandler. Er wird wahrscheinlich sowieso mit Ihnen sprechen wollen. Chandler ist ein tüchtiger Mann. Wahrscheinlich wird er den Kerl schnappen, der das getan hat.«
    Fiske betrachtete die Karte kurz und steckte sie dann in die Manteltasche. Er richtete den Blick seiner klaren Augen auf den Mann. »O ja. Wer immer das getan hat, wir werden ihn kriegen.« Fiskes seltsamer Tonfall ließ den Angestellten von seiner Akte aufschauen. »Und jetzt wäre ich gern mit meinem Bruder allein.«
    Der Angestellte schaute zu der Bahre hinüber. »Ja, sicher. Ich warte draußen. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn Sie fertig sind.«
    Nachdem der Mann gegangen war, zog Fiske einen Stuhl neben die Bahre und setzte sich. Er hatte noch keine Träne vergossen, seit er vom Tod seines Bruders erfahren hatte. Weil noch keine eindeutige Identifizierung vorgenommen worden war, sagte sich Fiske. Doch nun hatte er Mike identifiziert - und er konnte noch immer

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