Die Wahrheit
persönlich gekannt habe. Ich bin ziemlich selten hier im Gericht. Würde ich zu oft mit meiner Frau zu Mittag essen, kämen die Medienvertreter womöglich auf den Gedanken, daß ich ihre richterlichen Entscheidungen zu beeinflussen versuche. Diese Leute vergessen offenbar, daß Elizabeth und ich Haus und Bett miteinander teilen.« Er wurde ernst. »Mr. Fiske, ich möchte Ihnen und Ihrer Familie mein aufrichtiges Beileid aussprechen.«
Fiske dankte ihm. »Auch wenn es keine große Rolle spielt«, fügte er hinzu, »ich habe Sie gewählt.«
»Jede Stimme zählt.« Knight schaute zu seiner Frau hinüber und lächelte herzlich. »Genau wie hier am Gericht, nicht wahr, Frau Richterin? Wie hat Brennan es ausgedrückt? Man braucht fünf Stimmen, um irgend etwas bewirken zu können? Mein Gott, müßte ich mir nur um fünf Stimmen Sorgen machen, wäre ich mindestens fünfzehn Kilo leichter, und mein Haar wäre noch schwarz.«
Elizabeth Knight lächelte nicht. Ihre Augen waren so rot wie die Saras, ihre Haut noch bleicher als gewöhnlich. »Sara«, sagte sie, »morgen nach der Nachmittagssitzung würde ich gern mit Ihnen sprechen.« Sie räusperte sich. »Und ich möchte, daß Sie mit Steven das Memo für den Fall Chance durchsprechen. Ich brauche es spätestens morgen. Und wenn Steven die Nacht durcharbeitet - ich muß das Memo haben!« Ihre Stimme war beinahe schrill.
Sara schaute betroffen drein. »Ich werde ihm sofort Bescheid sagen, Richterin.«
Elizabeth Knight ergriff Saras rechte Hand. »Danke.« Sie schluckte mühsam. »Und bitte vergessen Sie nicht das Abendessen für Richter Wilkinson. Morgen abend um sieben bei mir zu Hause.«
»Ich hab’ es bereits in den Terminkalender eingetragen«, sagte Sara ein wenig zögerlich.
Elizabeth Knight schaute Fiske an. »Ihr Bruder war ein sehr begabter Anwalt, Mr. Fiske. Ich weiß, daß es Ihnen pietätlos erscheinen mag, daß wir an einem Tag wie diesem über Memos und Einladungen zum Abendessen sprechen, aber die Arbeit dieses Gerichts kann und darf nicht ins Stocken geraten, mögen noch so tragische Dinge geschehen sein. Diese Lektion habe ich schon vor langer Zeit gelernt«, fügte sie ein wenig müde hinzu. »Wie gesagt, es tut mir sehr leid.« Sie schaute auf die Uhr. »Du lieber Himmel, Jordan, du wirst noch deinen Termin auf dem Hill versäumen. Und auch ich muß noch einiges erledigen.« Wieder blickte sie Fiske an. »Wenn Sie uns bitte entschuldigen.«
Fiske zuckte die Achseln. »Wie Sie schon sagten, das Räderwerk bleibt für nichts und niemanden stehen.«
»Richterin Knight ist hart, aber fair«, sagte Sara, nachdem der Senator und seine Frau gegangen waren, und warf Fiske einen raschen Blick zu. »Sie hat es bestimmt nicht so gemeint.«
»O doch«, sagte Fiske.
»Na ja«, warf Chandler ein, »sie mußte bestimmt dreimal so hart schuften wie ein Mann, um dorthin zu gelangen, wo sie jetzt ist. So was vergißt man nie.«
»Das ist aber eine sehr liberale Einstellung«, sagte Sara.
»Sie kennen meine Frau nicht, sonst wüßten Sie, wie ich darauf komme.«
Sara lächelte. »Auch wenn Ramsey und Knight in vieler Hinsicht zusammenarbeiten - sie stammen aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten. Ramsey ist übertrieben zuvorkommend gegenüber Richterin Knight. Vielleicht mag er keine Konfrontationen mit Frauen. Er gehört einer anderen Generation an.«
»Ich glaube nicht, daß das Geschlecht irgend etwas damit zu tun hat«, versetzte Fiske geradeheraus.
»Sie ist eine brillante Juristin«, sagte Sara ein wenig zu heftig.
Dann hörten alle den Piepton. Chandler griff an seinen Gürtel, hielt das Gerät in die Höhe und las die Nummer von dem winzigen Bildschirm ab. »Gibt es hier irgendwo ein Telefon?«
fragte er Sara.
Sie zeigte es ihm.
Kurz darauf kam Chandler zurück und schüttelte müde den Kopf. »Ich muß ein paar neue Kunden verhören. Schrotschußverletzungen an den Köpfen. Ich bin ein echter Glückspilz.«
»Könnten Sie mich zum Revier mitnehmen, damit ich wieder zu meinem Wagen komme?« fragte Fiske.
»Eigentlich muß ich genau in die entgegengesetzte Richtung.«
»Ich kann Sie fahren, Mr. Fiske«, sagte Sara schnell. Beide Männer schauten sie an. »Für heute bin ich mit der Arbeit fertig. Habe sowieso nichts geschafft gekriegt.« Sie schaute zu Boden und lächelte ein bißchen wehmütig. »Es ist die reinste Ironie, aber Michael würde es nicht gutheißen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so hingebungsvoll, so hart
Weitere Kostenlose Bücher