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Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Die Wall Street ist auch nur eine Straße

Titel: Die Wall Street ist auch nur eine Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Rogers
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immer meine Lieblingsstadt auf der Welt und bleibt auch eine meiner liebsten Städte, aber so sehr ich New York auch liebe, kann ich das Offensichtliche doch nicht übersehen.
    Ich lebe nun schon seit einigen Jahren in Asien und kann Ihnen sagen: Wenn Sie sich einem New Yorker Flughafen nähern, landen Sie auf einem Dritte-Welt-Flughafen. Dann steigen Sie in ein Taxi aus der Dritten Welt, fahren auf Straßen aus der Dritten Welt, und selbst wenn Sie in einem Fünfsternehotel wohnen, dann wohnen Sie in einem Fünfsternehotel in der Dritten Welt. Fünfsternehotels in New York sind mit Fünfsternehotels in Asien überhaupt nicht zu vergleichen. Nichts lässt sich da vergleichen … die Infrastruktur, das Transportwesen. New York funktioniert nicht mehr. Der Flughafen JFK ist einfach nur peinlich. Fliegen Sie nach Schanghai, nach Hongkong oder nach Singapur, dann sind Sie in einer anderen Welt, in einer dynamischen Welt.
    Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Der Osten, insbesondere China, wird noch viele Probleme erleben, wie es jeder Gesellschaft ergeht, die zu Macht und Großartigkeit aufsteigt. Als Amerika zu einer Weltmacht wurde, überlebte es bedeutende Rückschläge: den Bürgerkrieg, mehrere ökonomische Depressionen, die Missachtung der Menschenrechte, einen Zusammenbruch des Rechtswesens, Massaker und politische Korruption. In den USA des 19. Jahrhunderts hatten die meisten Menschen nicht einmal das Wahlrecht; es gab kaum Bürgerrechte, Kongressabgeordnete konnte man kaufen und verkaufen. Das kann man zwar auch heute noch, aber damals waren die Abgeordneten billiger. Damals konnte man vier oder fünf Abgeordnete für das Geld kaufen, das heute ein einziger kostet. 1907 brach das ganze System zusammen, gerade als die USA dabei waren, das erfolgreichste Land des 20. Jahrhunderts zu werden. Daher wird China Rückschläge erleiden, aber dennoch ist die Richtung klar.
    Wenn man in Asien lebt, ist die Erregung greifbar. Wenn man aus der Tür tritt, hat man sofort das Gefühl, Teil eines Ortes zu sein, der nach vorn strebt. In Asien gibt es einen Impuls, eine Dynamik, die in Amerika nicht mehr existiert. Es ist dieses Gefühl, das ich früher in New York erlebte und heute dort nicht mehr spüre. Natürlich ist das nicht überall in Asien so – in Delhi habe ich dieses Gefühl nicht. Aber kommen Sie zum Beispiel nach Hongkong, gehen Sie dort in die Restaurants, gehen Sie die Straßen entlang, und Sie werden das großartige Gefühl haben, dass es hier passiert. Vielleicht haben Sie dieses Gefühl auch manchmal in New York, aber nicht so stark wie in Asien, wo es das ganze Leben prägt.
    New York ist die ökonomische und kulturelle Hauptstadt des Landes, das heute die größte Schuldnernation der Welt ist, ja die größte Schuldnernation in der Geschichte der Welt. Die größten Gläubigernationen der Welt liegen in Asien. Dort ist das Vermögen. Dort sind Dynamik und Energie: China, Japan, Taiwan, Korea, Singapur, Hongkong. Dort sind die Spar- und Investitionsquoten hoch. In China liegen sie derzeit bei über 30 Prozent. In den 1980er-Jahren betrugen sie in Singapur über 40 Prozent, was zur großartigen Erfolgsgeschichte des Stadtstaats beitrug. Sogar Karl Marx wusste, dass es schwierig ist, eine Volkswirtschaft ohne Kapital, Ersparnisse und Investitionen zu entwickeln. (Seine Annahme, ein Land würde wachsen und die Menschen wären besser dran, wenn der Staat Kapital akkumuliert und investiert, erwies sich als völlig falsch. Aber was die Entwicklung von Kapital betrifft, hatte er recht.) Die Sparquote in den USA, derzeit etwa 4 Prozent, schwankte in den letzten zehn Jahren meist um die 2 Prozent, und manchmal sank sie sogar in den negativen Bereich. Wir verbrauchen unser Kapital rasch und folgen damit dem Weg Großbritanniens nach dem Ersten Weltkrieg.
    Noch 1987 waren die USA eine Gläubigernation. 1945, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, waren die USA das einzige Land, das noch auf eigenen Füßen stand und der weltweit größte Kreditgeber. Innerhalb von nur drei Generationen sind wir zum größten Schuldner der Welt geworden, und es gibt kaum etwas, das uns noch vor dem Bankrott retten kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA zwar hohe Schulden abzutragen, aber das Land besaß auch Zugang zu riesigen Mengen akkumulierten Kapitals. Es handelte sich um Geld, das die Amerikaner während des Kriegs und der Weltwirtschaftskrise nicht ausgeben konnten und gezwungenermaßen hatten sparen müssen.

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