Die Wall Street ist auch nur eine Straße
ehemaligen Schüler und Studenten im Kongress. Und sie sind viel inkompetenter als die Generation ihrer Vorgänger. Ein Drittel von ihnen taucht in Washington auf, ohne jemals einen Reisepass beantragt zu haben. (Sie bekommen dann natürlich rasch Reisepässe, damit sie sich bei Auslandsaufenthalten vergnügen können.) Von Immigranten aus der Dritten Welt, die sich um die amerikanische Staatsbürgerschaft bewerben, verlangt man mehr Wissen über Geschichte, Geografie und Bürgerrechte, als es unsere gewählten Abgeordneten aufbringen.
Und ihre Kenntnisse hinsichtlich Finanzen und Wirtschaft sind ebenso unterirdisch. Mit anderen Leuten aus der Finanzbranche war ich einmal zu Gast bei einem Abendessen mit Charles Grassley, dem republikanischen Abgeordneten aus Iowa, der damals Vorsitzender des Finanzkomitees im Senat war. Jemand am Tisch schilderte seine Sorgen über die Schwäche des Dollars und fragte Grassley, was er diesbezüglich tun wolle. Grassley antwortete, der Dollar sei weder das Problem noch ein Thema seines Komitees. Alle Anwesenden waren fassungslos, nicht weil er wegen des Dollars nichts unternehmen wollte – das wäre ohnehin mein Rat gewesen: Man muss dem Markt freien Lauf lassen –, sondern weil er so wenig Wissen über die Finanzmärkte bewies. Er hatte nicht nur keinerlei Ahnung, was mit dem Dollar passierte oder was das bedeutete, sondern ihm war auch die Tatsache nicht bewusst, dass der Wert der Landeswährung für sein Komitee durchaus von Interesse sein könnte oder dass dieses Thema in seinen Verantwortungsbereich fiel. Und er ist eines der älteren Mitglieder unserer legislative; seine Schulzeit in den USA liegt schon länger zurück als die der meisten seiner Kollegen.
Die Leute in Washington, die die Nation an den Tropf gebracht haben, bilden ein großes Orchester der Inkompetenz. Und der Erste unter Gleichen war der Mann, der 19 Jahre lang als Dirigent dieses Orchesters agierte. Man hatte ihn zwar nicht gewählt, aber ernannt: Alan Greenspan, der Chairman der amerikanischen Notenbank Federal Reserve, der Maestro , wie er in dem gleichnamigen, Greenspan anbetenden Buch des offenbar umnachteten Reporters Bob Woodward genannt wurde.
Greenspan, ein mittelmäßiger Ökonom von der Wall Street, der sich ständig um eine Anstellung beim Staat bemühte, hatte 15 Jahre lang immer mal wieder einen Posten in Washington und dann wieder nicht, bis Präsident Reagan ihn 1987 für seine Inkompetenz belohnte. Er diente später noch drei weiteren Präsidenten. Als Verfechter des leichten Geldes ließ er immer dann frische Scheine drucken, wenn die Lage schwierig wurde – vor allem, wenn sie für seine früheren Kollegen in New York schwierig wurde. Er tat es 1987, als der Aktienmarkt zusammenbrach – er hatte zu diesem Crash beigetragen –, und 1994 als Reaktion auf die Krise des mexikanischen Pesos. In den folgenden Jahren tat er es noch drei Mal. Er überflutete die Welt mit Dollars als Reaktion auf die Asienkrise, als er hysterische Anrufe von seinen Freunden bei Finanzunternehmen in New York erhielt. Sie alle waren Gläubiger von Long-Term Capital Management, eines Hedgefonds, der kurz vor dem Ruin stand.
Wenn ein Zahntechniker aus Colorado Springs oder ein Feuerwehrmann aus Omaha bei der Fed anruft, wird er nicht durchgestellt. Aber wenn der CEO der Citibank anruft oder der Chef von J. P. Morgan, geht der Chairman selbst ans Telefon. Und wenn man dem Fed-Vorsitzenden sagt, dies sei das Ende der westlichen Zivilisation, wie wir sie kennen, dass diese Katastrophe zur nächsten Weltwirtschaftskrise führen könnte, dann wird er jedem aus der Not helfen, denn er ist weder besonders klug noch besonders stark. Genau das hat Greenspan für seine Freunde getan: Er organisierte Rettungsorganisationen, wann immer irgendein Finanztyp ihn anrief.
Ja, hätte er einen dieser Gläubiger bankrottgehen lassen, dann hätte es Schwierigkeiten gegeben. Fast mit Sicherheit wäre eine Baisse die Folge gewesen. In der amerikanischen Wirtschaft standen die Unternehmensgewinne unter Druck. Aber wenn er dem Markt freien Lauf gelassen hätte, dann wären Lehman Brothers und Bear Stearns heute noch im Geschäft. Diese Unternehmen hätten derartige Verluste und Schmerzen erlitten, dass sie viele inkompetente Leute gefeuert hätten. Ihre Bilanzen wären geschädigt worden, aber letzten Endes hätte ihnen das zum Vorteil gereicht. All dieses überflüssige Geld in den Büchern, das den jetzt übermäßig zuversichtlichen,
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