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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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hat. Zweimal verraten. Sie haben mich in die Verbannung geschickt. Jahrelang war ich fort. Und ich habe überlebt. Sie hatten gehofft, ich würde sterben. Aber ich war stark. Ich habe gelebt. Ich habe nachgedacht. Zehn Jahre allein mitmeinen Erinnerungen. Erinnerungen wie Gespenster. Überall Gespenster.« Ich unterbreche mich.
    »Dann komme ich unter größten Gefahren hierher. Nicht nur mit der Fahrt, auch damit, dass ich hier bin, setze ich mein Leben aufs Spiel. Ich bringe Ihnen einen Mann, dessen Anwesenheit eine Gefahr für die Siedlung darstellt, um die Sie mich betrogen haben, und Sie streiten alles ab. Sie bieten mir nichts an.«
    Gerade will ich weiterreden, da fragt Abel leise: »Was möchten Sie denn von uns?«
    Schnell stehe ich auf.
    »Ich möchte …« Mein Atem geht heftig. Ich schaue an Elba vorbei, die mich anstarrt. »Ich möchte einen neuen Prozess. Ich möchte, dass im Licht der laufenden Ereignisse und der Entwicklung der letzten zehn Jahre noch einmal über mich geurteilt wird. Es geht mir nicht um Rache an Ihnen. Ich möchte auch nicht wieder Marschall sein. Ich habe nicht vor, Sie noch einmal der Mitschuld an den Morden zu zeihen, die Sie mir zur Last gelegt haben. Ich möchte, dass mein Vermächtnis neu bewertet wird, dass meine Verbrechen als das anerkannt werden, was sie de facto waren, und dass man sich vor Augen hält, welche Mühen und Gefahren ich auf mich genommen habe, um den Behörden der Siedlung einen feindlichen General auszuliefern. Ich möchte bei meinem Volk leben dürfen, dem Volk, das ich miterschaffen habe. Andernfalls geben Sie mir den Tod. Der Tod bringt wenigstens Erlösung. Verweigern Sie mir nicht das Ende.«
    Stille.
    »Ich möchte wissen, was aus meinen Freunden und Kollegen geworden ist. Ich möchte wissen, ob Tora noch lebt, die Frau, die ich geliebt habe.« Ich blicke zu Elba, doch sie starrt wieder auf den Tisch.
    »Ob sie mich hinreichend geliebt hat oder nicht, ich möchtewissen, was aus ihr geworden ist. Und …« Hier zögere ich und merke, dass meine Stimme etwas zittrig wird. »Und ich möchte, dass der Hingerichteten gedacht wird. Ihrem Opfer ist kein Denkmal gesetzt worden. Die vielen Hundert, die wir töten mussten, sollten nicht vergessen werden. Es waren neunhundertundsiebzehn, Abel. Neunhundertsiebzehn. Verzeiht mir bitte. Man muss mir verzeihen. Bitte. Nachts suchen sie mich heim. Ich kann sie nicht abschütteln. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich sie. Öffne ich die Augen, verstecken sie sich hinter Bäumen, an Steilufern, in dunklen Ecken. Ständig sehe ich ihre Gesichter, die Gesichter einiger. Andere bleiben gesichtslos. Wie oft habe ich versucht, mich an ihre Namen zu erinnern, aber es geht nicht. Ich kann nicht. Bitte.«
    Abel hat einen entschlossenen Zug um den Mund. »Sie möchten, dass neu über Sie geurteilt wird? Wie soll das gehen?
Ein
Urteil genügt doch wohl. Ein Urteil bestimmt, was Recht und Unrecht ist. Ein falsches Urteil wäre der Definition nach kein Urteil. Sie können kein neues Urteil bekommen. Was Sie verlangen, ist unmöglich.«
    Ich bin eine Zeit lang still. »Geben Sie denn zu, dass Sie wissen, wer ich bin? Geben Sie zu, dass vor zehn Jahren in ebendiesem Saal ein Gerichtsverfahren stattfand, bei dem mich die Bürger der Stadt auf Lebenszeit an den äußersten Rand des Hoheitsgebiets von Bran verbannt haben?«
    »Ich gebe nichts dergleichen zu. Gar nichts. Da ist nichts dran.«
    »Nichts? Dann schauen Sie mal, was aus dem Nichts geworden ist«, sage ich und deute auf mich selbst. Schon schreie ich wieder. »Irgendwie hat’s mich aus dem Nichts hierher verschlagen, niemand will mich gekannt haben, und doch weiß ich so viel über die Stadt. Natürlich erkennen Sie mich wieder. Das sehe ich Ihnen doch an. Sie haben nur Angst, es zuzugeben.Angst vor den möglichen Folgen für das von Ihnen erbaute Paradies. Das Paradies, das Sie auf den Gebeinen der Toten errichtet haben.«
    Jetzt bin ich außer Atem. »Ihren Bemühungen zum Trotz habe ich Beweise für meine Vergangenheit zusammengetragen, allem voran ein Porträt von mir. Das wollen Sie nicht gelten lassen aus Angst, Sie könnten etwas übersehen haben, etwas aus der Vergangenheit, die Sie begraben haben, könnte wiederaufgetaucht sein. Ich bin hierhergekommen, damit mir vergeben wird, weil ich ohne Vergebung nicht leben kann«, wieder zittert meine Stimme, doch ich rede weiter, »Sie aber wollen meine Ausführungen nicht hören und geben mir keine Möglichkeit, das zu

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