Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
Vom Netzwerk:
sagen, was ich sagen muss.«
    »Sie haben Ihre Geschichte erzählt, alter Mann. Sie haben dafür in hohem Maße meine Zeit, unsere Zeit in Anspruch genommen. Wir haben Ihnen Gastlichkeit und Freundschaft erwiesen, doch das genügt Ihnen nicht. Wir haben Ihnen Unterkunft und Verpflegung gewährt, und es genügt nicht. Wir haben Sie in die Gegenwart und Zukunft unserer Stadt einbezogen, aber auch das genügt nicht. Sie möchten unbedingt auch noch Vergebung. Wofür? Für die Mär von unserer Vergangenheit? Eine Vergangenheit, die unsere Stadt belastet? Vergeben? Warum sollten wir Ihnen vergeben, wenn Sie uns zu Schuldigen machen? Das haben Sie nicht bedacht, oder? Und überhaupt, wie sollen wir Ihnen vergeben, wenn wir nicht wissen, wer Sie sind? Da wir nicht wissen, wer Sie sind, können wir Ihnen auch nicht die Verbrechen verzeihen, die Sie und wir alle angeblich auf uns geladen haben.« Auch Abel ist laut geworden.
    »Und dann Ihr Freund, der General«, redet er weiter. »Ständig faseln Sie von einem General, den Sie uns mitgebracht haben. Wo steckt er denn? Sitzt er hier am Tisch? Ich sehe ihnnicht. Ich habe ihn noch nie gesehen. Ein General, der nichts sagt? Wir kennen keinen Andalus. Auch er existiert für uns nicht. Weder er noch irgendwelche Axumiten.«
    Er schreit jetzt, brüllt mich an. »Zeigen Sie ihn mir doch! Her mit Ihren Beweisen. Warum sitzt er nicht hier am Tisch, stumm oder nicht stumm? Ist er eins Ihrer Gespenster, Ihrer Märchen, eine Ihrer Lügengeschichten?«
    Schwer atmend bricht er ab. Im Saal ist es still.
    Ich fahre leise fort. »Wir wussten nicht, was wir taten. Es ist wichtig, dass ich freigesprochen werde. Sonst habe ich kein Leben. Sie haben mich zu unerträglichem Kummer verurteilt. Da haben auch Sie etwas wiedergutzumachen.« Ich hole tief Luft.
    »Am schlimmsten waren die Kinder, Abel. Die kranken, das ohne Hand geborene, das zurückgebliebene. Da war ein Junge von sieben Jahren. Spätnachts, als er schlief, bin ich in sein Zimmerchen gegangen. Ich habe mich an sein Bett gesetzt und geweint. Warum konnte ich das bisher nicht erzählen? Warum konnte ich es nicht zugeben? Bei Tagesanbruch habe ich sein Zimmer verlassen, bin ins Amt und habe angeordnet, ihn noch am selben Tag zu hängen. Sie erinnern sich vielleicht, dass sie ihn hintragen mussten, weil er zu schwach auf den Beinen war. Und Sie erinnern sich vielleicht, dass der Vater in mein Büro gestürmt kam und auf mich losging und dass meine Soldaten mich verteidigten. Sie haben ihn so schwer geschlagen, so übel zugerichtet, dass wir ihn einen Tag nach seinem Sohn ebenfalls hängen mussten. Die Soldaten brachten ihn raus und sperrten die Tür ab. Ich zog mein Messer und setzte es mir an den Hals. Ich dachte darüber nach, was mit ihm und seinem Sohn geschah. Ich dachte an Pflicht. Ich dachte an die Zukunft. Ich legte das Messer weg.«
    Elba wendet sich ab, hält sich die Hand vor den Mund.
    »Warum haben wir das getan, Abel? Warum haben wir den Jungen nicht einfach einen natürlichen Tod sterben lassen?«
    Abel schweigt eine Zeit lang. Er sieht mich an, dann blickt er auf den Tisch. »Nicht voll und ganz hinter etwas zu stehen ist manchmal die größte Sünde. Sind Sie so jemand, Bran? Irgendwie ein guter Mensch, der aber zu sehr an Ideen hängt?«
    »Verzeihen Sie mir, oder richten Sie mich hin. Zu den Gespenstern kann ich nicht zurück. Wir waren befreundet. Das ist meine einzige Bitte an Sie.«
    Ich rede zu viel. Es war nicht meine Absicht, die Beherrschung zu verlieren.
    Abel spricht jetzt wieder leiser. »Wir sind keine gefühllosen Menschen. Meine Freundin Elba«, er nickt zu ihr hin, »sagt mir, dass Sie eine Beziehung zu ihrer Tochter aufgebaut haben. Sie sagt, sie mag Sie auch, trotz Ihrer Eigenheiten. Wir geben Ihnen die Gelegenheit, ein neues Leben anzufangen. Unter einer Bedingung.«
    Ich sehe ihn an. »Sie wissen, dass sie meine Tochter ist.«
    Seine Miene verfinstert sich, und er krümmt die Finger, geht aber nicht auf mich ein. »Unter der Bedingung, dass Sie bei Todesstrafe ein für alle Mal mit diesen Geschichten aufhören, dass Sie es aufgeben, uns in den Abgrund ziehen zu wollen, dass Sie uns als das nehmen, was wir sind, und nicht als das, was wir angeblich waren.«
    »Weshalb?«
    »Das habe ich Ihnen schon gesagt. Dies ist eine neue Welt. Da steigen wir nicht als Mörder ein.«
    »Wer bin ich, wenn nicht der, der ich zu sein behaupte?«
    Der Marschall sieht mich scharf an. Er seufzt, und Elba wendet sich ab.

Weitere Kostenlose Bücher