Die Wand der Zeit
sage? Erkennen Sie mich dann als den an, der ich bin?«
Abel rührt sich nicht.
Ich packe den Tisch mit den Händen. »Was geht hier vor? Ich habe euch eine glaubwürdige Geschichte über Axum erzählt. Ihr wisst alle, wer ich bin, und doch will es keiner zugeben. Alle gehen mir aus dem Weg, keiner sieht mir in die Augen. Es ist, als ob ihr mir einreden wollt, dass es mich nicht gibt. Mich nie gegeben hat.«
Das ansatzweise Lächeln ist wieder da, aber er schweigt immer noch.
Ich lehne mich zurück. »Na schön. Spielen wir ein bisschen weiter. Ich kann jetzt besser beweisen, wer ich bin.«
»Besser?«
Ich habe meine Tasche dabei. Sie enthält die Jacke und den Brief. Das Porträt habe ich im Unterstand gelassen.
»Ihrem Assistenten habe ich schon davon erzählt«, sage ich mit einer Kopfbewegung zu Jura hin und lege die Sachen auf den Tisch.
Abel nimmt den Brief und liest ihn. Das Lächeln verschwindet wieder. »Ein Kleidungsstück und ein Brief, den Sie selbst geschrieben haben könnten. Wohl kaum beweiskräftig.«
»Das ist nicht meine Handschrift. Ich habe ihn in Ihrem Haus gefunden.«
»Behaupten Sie.«
»Wir wissen beide, von wem er stammt. Warum sollte ich das erfinden?«
Statt darauf einzugehen, sagt er: »Sie haben sich mehrfach als Einbrecher betätigt. Anscheinend halten Sie uns für sehr nachsichtig. Oder Sie denken, wir sind faul. Träge. Ein Volk von faulen Hunden.«
Ich starre ihn an. »Mein Porträt habe ich auch gefunden.«
Einen Moment lang sieht er fast erschrocken aus. »Porträt?«
»Mein Porträt. Ein Porträt, das entstand, als ich jünger war, als ich der Marschall war.«
»Als Sie der Marschall waren.« Mein alter Freund ist offenbar dazu übergegangen, alles, was ich sage, zu wiederholen. Vielleicht gewinnt er damit Zeit zum Nachdenken. »Ein Porträt von Ihnen?«
»Ja.«
»Das ist merkwürdig. Wo haben Sie es denn gefunden? In der Hütte im Orangenhain?«
Ich sehe ihn an und frage mich, ob das auch wieder ein Scherz sein soll. »Wo ich es gefunden habe, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass es existiert, nur darum geht es hier.«
»Und wie sieht es aus, Ihr Porträt?«
Ich verkneife mir ein Lächeln. »Na, wie ich eben. Nur jünger.«
»Nein«, sagt Abel – ich habe ihn aus der Fassung gebracht –, »ich meine, wie sind Sie porträtiert worden? In welcher Pose? Unter welchen Umständen? Erzählen Sie mal etwas mehr darüber.«
»Ich bin in Uniform. Im Halbprofil. Trotz der verblassten Farben sieht man, dass ich als Regent porträtiert worden bin.«
»Verblasst?«
»Ja, es wurde vor langer Zeit gemalt, aber das spielt keine Rolle. Es ist noch gut genug erhalten.«
»Und Sie sind sicher, dass es Sie darstellt?«
»Selbstverständlich. Das bin eindeutig ich. Unter dem Porträt steht auch etwas geschrieben. Die Schrift ist zwar noch mitgenommener als das Bild, aber es kann sich nur um einen Namen handeln – meinen Namen.«
»Woher nehmen Sie diese Gewissheit? Sie erkennen sich auf dem Bild, sagen Sie, aber sind Sie es auch? Waren Sie’s? Was meinen Sie, wann es entstanden ist?«
»Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren. Ihr Einwand verfängt nicht. Das Porträt hing über meinem Schreibtisch, der jetzt Ihrer ist. Man sieht noch eine dunkle Stelle an der Wand, wo es gehangen hat. Vielleicht musste es ja Ihrem eigenen Porträt weichen. Mich hatten Sie damals der Eitelkeit geziehen.«
Er tut das mit einer Handbewegung ab. »Trotzdem ist es lange her. Da ändert sich das Äußere.«
»Eines Gemäldes? Gemälde ändern sich nicht. Deshalb lässt man sie anfertigen.«
»Genau. Aber Sie haben sich mit Sicherheit verändert. Sie sehen heute anders aus als früher. Sie sagen, Sie haben auf einer Insel gelebt. Hatten Sie da einen Spiegel? Haben Sie sich in letzter Zeit mal angesehen? Würden Sie sich wiedererkennen? Sie können mir das Porträt zeigen. Sie können sagen, hier, das bin ich. Schauen Sie. Sie sehen doch, dass ich es bin. Aber wie bitte soll ich das sehen? Wie soll ich, der Sie nicht kennt, sehen, dass ein zwanzig Jahre altes Bild in verblassten Farben Sie als jüngeren Mann darstellt? Ich kenne Sie nicht. Sie sagen, Sie erkennen sich, aber das ist für mich nicht erwiesen. Das Gemälde wäre kein Beweis. Da müssen Sie sich schon nach was anderem umsehen.«
Ich haue auf den Tisch. Ich schreie ihn an. »Verachten Sie mich ruhig, Marschall Abel. Verachten können Sie mich, aber Sie können mich nicht verleugnen. Gerade Sie nicht. Sie, der mich verraten
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