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Die Wand

Titel: Die Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlen Haushofer
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wie in diesem Sommer. Es gab keinen vernünftigen Grund dafür, aber ich wußte es mit großer Sicherheit. Heute glaube ich, ich wußte es, weil ich keine Wiederholung wünschte. Jede Steigerung dieses Ausnahmezustands hätte mich und meine Tiere in große Gefahr gebracht.
    Bergab ging es unter dunklen Fichten, auf holprigen Wegen, und das winzige Stück Bläue über mir hatte nichts gemein mit dem Himmel über der Alm. JederStein am Weg, jeder kleine Strauch bot sich mir vertraut dar, schön, aber ein wenig gewöhnlich gegen den gleißenden Schnee auf den Felsen. Aber diese vertraute Gewöhnlichkeit war es, die ich zum Leben brauchte, wenn ich ein Mensch bleiben wollte. Auf der Alm war etwas von der Kälte und Weite des Himmels in mich eingesickert und hatte mich unmerklich vom Leben entfernt. Aber das lag schon sehr weit zurück. Während ich zu Tal stieg, drückte nicht nur das Butterfaß schmerzlich auf meine Schultern; alle Sorgen, die ich abgetan hatte, wurden wieder lebendig. Ich war nicht mehr losgelöst von der Erde, sondern mühselig und beladen, wie es einem Menschen zusteht. Und es schien mir gut und richtig, und ich nahm die schwere Last willig auf mich.
    Nach zwei Ruhetagen besichtigte ich den Erdapfelacker. Das Kraut stand dicht und grün und fing noch nicht an, gelb zu werden. Ich mußte noch einige Wochen mit Fleisch und Mehl durchkommen, aber auch Mehl hatte ich nur noch wenig. Ich kochte Brennesselspinat, der nicht so gut war wie im Frühling, aber doch den Magen füllte. Dann suchte ich meine Obstbäume auf. Die Zwetschgen, die reichlich geblüht und angesetzt hatten, mußten im Sommer abgefallen sein. Dafür gab es mehr Äpfel als im Vorjahr und eine Menge Holzäpfel. Auch mit dieser Ernte mußte ich noch warten. Ich aß einen Apfel, aber er war noch grün, und ich bekam Magenschmerzen davon.
    Der zweite Herbst im Wald war für mich gekommen. Zyklamen blühten an feuchten und schattigen Stellen unter den Haselbüschen, und die Schlucht war blaugesäumt vom Enzian. Der Ostwind schlug in Südwind um und brachte unangenehm warme Luft mit sich. Vielleicht war ich doch zu früh von der Alm aufgebrochen, aber ich wußte schon, daß dem Föhn sehr bald schlechtes Wetterfolgen mußte. Ich fühlte mich müde und gereizt, schleppte Heu in die Garage und war froh, im Frühling so viel Holz gehackt zu haben, daß mir wenigstens diese Arbeit erspart blieb.
    Endlich kam der Regen, aber immer noch blieb es mäßig warm. Ich mußte abends heizen, aber das muß man hier auch an kühleren Sommertagen. Ich blieb im Haus und nähte Hugos alten Hüttenanzug für mich um. Ich nähte sehr schlecht und ohne jedes Geschick, aber es mußte ja kein Meisterwerk werden. Diese Arbeit, die ich so ungern tat, beschäftigte nur meine Hände. Meine Gedanken gingen spazieren. Es war angenehm, in einer warmen Stube zu sein. Luchs schlief im Ofenloch, die Katze auf meinem Bett, und Tiger trieb einen Papierball von einer Ecke in die andere. Er war jetzt fast erwachsen und schon größer als seine Mutter. Sein dicker Katerkopf war fast doppelt so breit wie ihr zartes Köpfchen. Die alte Katze war Tiger nach unserer Rückkehr feindselig begegnet, bis er sie, wohl aus Angst, kräftig angefaucht hatte. Daraufhin vertrugen sie sich, das heißt, sie übersahen einander, und jede benahm sich, als wäre sie die einzige Katze im Haus. Tiger hatte seine Mutter nicht wiedererkannt. Er war ja noch klein gewesen, als wir auf die Alm gezogen waren, und die Alte hatte längst aufgehört, sich um ihn zu kümmern. Durch das Regenwetter wurde es früh dunkel, und um zu sparen, ging ich früh zu Bett. Ich schlief nicht so gut wie auf der Alm, wo ich schon von der Luft allein müde geworden war. Zwei- oder dreimal erwachte ich nachts und bemühte mich, nicht zu denken, um den Schlaf nicht ganz zu verscheuchen. Ich stand erst gegen sieben Uhr auf, um in den Stall zu gehen. Bella und Stier hatten sich wieder völlig eingelebt, nur gab Bella etwas weniger Milch durch die Umstellung auf das schlechtere Futterauf der Lichtung. Ich hoffte aber, das würde sich mit der Heufütterung bessern.
    Ganz langsam wurde das Wetter kühl und unfreundlich. Ich ging jeden Tag mit Luchs in den Wald, und als der Regen nachließ, versuchte ich, ein paar Forellen zu fangen. An einem Nachmittag fing ich zwei, am nächsten nur eine, und die mit der Hand. Ich weiß nicht, ob Fische schlafen, aber diese eine mußte in ihrem Tümpel eingenickt sein. Es war nicht mehr viel los mit

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