Die Wanderapothekerin 1-6
verfluchte die Franzosen, weil sie ausgerechnet sie mitgenommen hatten. Aber sie unterdrückte ihre Angst ebenso wie ihre Wut und richtete ihre Gedanken auf die Zange. Ihre Form verriet, dass sie dazu diente, Kugeln zu entfernen. Hoffentlich gelingt es mir, dachte sie, als sie die Spitze langsam unter die Rippe schob und auf Widerstand traf. Sie öffnete die Zange und spürte, wie die Löffel an der Spitze das Geschoss erfassten.
Behutsam zog sie das Instrument aus der Wunde heraus und atmete auf, als sie tatsächlich die Bleikugel in den Löffelbacken entdeckte. Mit einem Blick auf das Gesicht des Grafen stellte sie fest, dass dieser den Eingriff überlebt hatte und auch nicht mehr so schrecklich ächzte. Sie ließ die Wunde ein paar Minuten ausbluten, träufelte dann eines ihrer scharfen Elixiere hinein und forderte frische Verbandsstreifen, da sie die alten nicht mehr verwenden wollte.
Nachdem die Wunde versorgt war, verabreichte sie dem Verletzten noch einige Mittel, die laut ihrer Beschreibung das Wundfieber mindern und den Patienten kräftigen sollten. Als auch das geschehen war, fühlte sie sich so schwach wie eine Greisin. Ihre Nerven gaben nach, und sie brach in Tränen aus.
»Was ist mit dir?«, fragte Martha besorgt.
»Ich freue mich, weil diese Franzosen uns beide gefangen und mich bei Todesdrohung gezwungen haben, ihren Anführer zu verarzten!«, fauchte Klara ihre Freundin an.
»Aber es ist doch alles gutgegangen! Vielleicht lassen sie uns jetzt frei.«
Noch während Martha es sagte, schüttelte de Matthieux den Kopf. »Der Comte braucht die Pflege der Heilerin! Erst wenn er über den Berg ist, könnt ihr gehen.«
»Der Teufel soll euch holen!«, murmelte Klara und war froh, dass kein Franzose ihre geflüsterten Worte verstanden hatte.
16.
K lara und Martha wurde ein Schlafplatz im Zelt des verwundeten Grafen angewiesen, und vor dem Eingang zogen zwei Wachen auf, deren geladene Karabiner deutlich zeigten, dass sie bei einem Fluchtversuch schießen würden. Aber Klara war ohnehin viel zu erschöpft, um an Flucht auch nur denken zu können. Ihr war sogar Marthas munteres Geplapper zu viel.
»Ich bin müde und möchte schlafen!«, wies sie die Freundin zurecht. Dann rang sie sich ein Lächeln ab. »Weck mich, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht.«
»Etwa, wenn der Franzose stirbt?«, fragte Martha missmutig.
Sie hätte am liebsten sofort nach einer Möglichkeit gesucht, den Soldaten zu entkommen. Bei Graf Benno war Klara und ihr doch auch die Flucht gelungen. Zwar würden sie Klaras Reff zurücklassen müssen, doch das war leichter zu ersetzen als ihr Leben. Sie begriff jedoch, dass Klara im Augenblick nicht in der Lage war zu fliehen, und so begnügte sie sich damit, alles zu beobachten und Pläne zu schmieden. Ihre Bequemlichkeit vergaß sie dabei nicht. Sie öffnete einige Male den Zelteingang und verlangte von den Franzosen zwei Feldbetten, ein ausgiebiges Mahl und richtigen Traubenwein.
Klara aß ein wenig, trank einen halben Becher Wein, den sie mit Wasser vermischt hatte, und half dem Comte, ebenfalls einen Becher dieses Gemischs zu leeren. Dann legte sie sich hin und war zu Marthas Verwunderung innerhalb weniger Augenblicke eingeschlafen.
Nun spürte auch Martha, dass Mitternacht bereits vorüber war. Da Klara ihr jedoch aufgetragen hatte, bei de Thorné zu wachen, kämpfte sie gegen den Schlaf an.
Irgendwann wurde Klara wieder wach, stand auf und sah nach dem Verletzten. Dieser schlief, aber als sie ihm die Hand auf die Stirn legte, war diese heiß. »Er hat hohes Fieber!«, sagte sie und wählte unter ihren Arzneien diejenigen aus, die Anteile aus Brombeeren, Hagebutten und Holunderbeeren hatten, und mischte einen Trunk an. Dann weckte sie den Grafen und zwang ihn, das Gebräu zu trinken.
»Ich hoffe, es wirkt«, sagte sie zu Martha, als de Thorné wieder in einen fiebergeplagten Schlaf gefallen war.
»Wenn nicht, sollten wir uns überlegen, wie wir am schnellsten von hier wegkommen. Es ist nicht weit bis zum Wald. Wenn wir den erreichen, können wir den Franzosen eine lange Nase drehen!« Martha grinste, als wäre das alles nur ein Heidenspaß.
Beiden war klar, dass sie den Tod des verletzten Obersts nicht überleben würden. Dennoch nickte Klara zustimmend.
»Wenn wir sehen, dass es mit ihm zu Ende geht, sollten wir verschwinden. Heute, so glaube ich, stirbt er noch nicht. Außerdem ist die Dämmerung nicht mehr fern, und ich würde mich gerne im Hellen umsehen, damit wir
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