Die Wanderbibel
Wanderer eher ungünstig. Die Zecken lauern meist genau dort auf ihre Opfer, wo der Wandersmann todsicher vorbeikommt, auf Sträuchern und Gräsern am Wegesrand und lassen sich einfach dort von den hoffentlich prallen Waden desselben abstreifen. Hat die Zecke erst mal Halt gefunden, braucht sie sich nur noch eine warme Körperstelle mit besonders dünner Haut zu suchen, und dann wird herzhaft zugebissen, pardon zugestochen.
Dummerweise deckt sich die Zeckensaison, die etwa von März bis Oktober geht, auch noch exakt mit der Wandersaison.
Die sich hartnäckig haltende Vorstellung, dass sich die kleinen Biester als eine Art lebende Bomben aus dem Geäst hoher Bäume auf ihre Opfer fallen lassen, wurde übrigens schon vor Jahren widerlegt. Deshalb taugt auch ein, wie auch immer gearteter, Wanderhut als Zeckenschutz herzlich wenig. Wie aber kann man sich effektiv vor den kleinen Blutsaugern schützen? Die Mutter aller Zeckenseiten im Internet, die auf den einfallsreichen Namen zecken.de hört, rät dem Wandersmann unter anderem, seine Hosenbeine in die Socken zu stopfen, um den Zecken den Zugang zu erschweren. Ein Vorschlag, der helfen mag, den Wanderer, der seine khaki farbene Safarihose in weiße Tennissocken stopft, aber auch reichlich debil aussehen lässt.
Ist das Kind einmal in den Brunnen gefallen, sprich hat sich eine Zecke erst mal mit ihrem Stechapparat in die Kniekehle des Wanderers gebohrt, sollte sie so schnell wie möglich mit einer Pinzette oder einer sogenannten Zeckenzange entfernt werden. Weit verbreitet ist noch immer die Überzeugung, der Gemeine Holzbock müsse, je nach gerade vorherrschender »Lehrmeinung«, rechts- oder linksherum aus der Haut »herausgeschraubt« werden. Das ist natürlich kompletter Blödsinn, so ein Zeckenstechrüssel hat nämlich definitiv weder ein links- noch ein rechtsdrehendes Gewinde. Und riskant ist das Drehen zudem, führt es doch am zuverlässigsten dazu, dass der Kopf der Zecke in der Wunde verbleibt und Entzündungen hervorruft.
Aber unsere Natur hält ja für den Wanderer nicht nur Begegnungen mit fiesen Blutsaugern und anderen miesen Parasiten, sondern auch mit deutlich freundlicheren Tieren parat.
In den Alpen beispielsweise sind Murmeltiere die uneingeschränkten Lieblinge aller wandernden Flachlandtiroler. Gams und Steinbock werden da klar ausgestochen. Dafür sorgt neben dem altbekannten Kindchenschema (Kulleraugen, Stupsnase) vor allem das drollige Verhalten (Pfeifen, Männchenmachen) der kleinen Alpen bewohner. Aber auch die Werbeindustrie und vor allem diverse alpenländische Tourismusorganisationen nutzen die putzigen Pelzträger gerne als Sympathieträger, symbolisieren die kleinen Nager doch stets auch Gemütlichkeit und Familiensinn.
»Verdammt, hier oben gibt’s ja Ratten, und fett sind sie auch noch.« So oder so ähnlich kommentierte Katharina vor vielen Jahren unsere erste Begegnung mit einem Murmeltier auf einer Bergwiese im Ötztal. Normalerweise hätte ich diese sowohl biologisch als auch politisch völlig unkorrekte Bemerkung meiner lieben Gattin mit einem ziemlich langen Mäntelchen des Schweigens verhüllt, würde sie nicht ganz wunderbar eine eindeutige Entwicklung in Sachen Murmeltiere beschreiben. Galt es nämlich früher als großer Glücksfall, wenn ein Bergwanderer ein scheues Murmeltier zu Gesicht bekam, stolpert man heute in einigen jagdfreien Tourismusgebieten regelrecht über die kleinen Nager. Die scheren sich meist einen feuchten Dreck um sich nähernde Wanderer. Wissen sie doch, dass das Schlimmste, was ihnen passieren kann, darin besteht, von allen Seiten stundenlang fotografiert zu werden.
Besonders häufig kann man Murmeltiere an den Parkplätzen von Passstraßen oder in der Nähe von Almhütten beobachten, wo die Tiere dank fleißiger Überfütterung durch unbedarfte Touristen eher an bepelzte Miniatur-Sumoringer als an pfiffige Erdhörnchen erinnern.
Seinen komischen Namen bekam das Murmeltier üb rigens – Altphilologen aufgepasst – von den alten Römern: »mus monti«, Akkusativ: »murem monti«, zu deutsch: »Berg maus«, hießen die alpinen Fettsäcke im Reich der Cäsaren. Und weil der gemeine Älpler kein Latein ver steht, machte die einheimische Bevölkerung einfach »Mur meltier« daraus.
Viele Alpenbewohner sehen im Murmeltier jedoch in erster Linie keinen kuscheligen Bergfreund, sondern ein prima Beutetier. In Österreich und der Schweiz werden jährlich zwischen 12.000 und 16.000 Tiere erlegt. Heiß
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